Syndemic - Annihilate The I

von Rüdiger Vinschen

Bewertung: 9/10

Syndemic - Annihilate The I

Ach ja! Man könnte vielleicht technische Probleme als Grund für dieses verspätete Review anführen, wenn der Idiot vor dem Rechner auch als technisches Problem zählen würde. Aber so, wie ich stets zu der schönsten Stadt der Welt zurückkehren werde, so kehre ich auch zu einmal versprochenen Reviews zurück. Hamburg ruft in diesem Fall mal wieder! Nicht nur ist das die besagte Schönheit unter allen Städten, sondern sie hat auch noch die geilste Metalszene überhaupt. In einer Art metallischem Perpetuum Mobile befeuert sich die Hamburger Szene stets selbst mit neuen Musikern und genialen Leuten, wobei diese beiden Gruppen deutliche Schnittmengen besitzen. Dass SYNDEMIC was auf dem Kasten haben, durfte ich ja bereits in Wacken bewundern, und auch das dort aufgenommene, äußerst feucht-fröhliche Interview (oh fuck, die Audio darf niemals in falsche Hände geraten) zeugt von der Richtigkeit meiner obigen Postulation.

SYNDEMIC haben jetzt also ihr zweites Album veröffentlicht (wobei "jetzt" den Zeitraum des letzten halben Jahrs einschließt), das "Annihilate The I" titelt. Die Hanseaten spielen Melodeath, der nicht ganz von Pappe ist! Mit "For Those In Desperation", dem Vorgänger, habe ich mich nicht so intensiv beschäftigt wie mit diesem Longplayer, aber ich denke, dass SYNDEMIC jetzt ein Stück closer to perfect sind. Zu ihrem Stil gehört ein guter Schuss Moderne, was man zum Beispiel an schön eingebauten Breakdown-Riffs merkt (schon zu Beginn kommen diese in "Amaurosis" und "Into Oblivion" zum Einsatz). Mal ehrlich, wenn mehr Metalcore-Bands das Breaken so gut zwischen Shredding und Melodien packen würden, hätte man sicherlich eine viel bessere Meinung über jene Szene, als wenn sie ständig minutenlang mit demselben Akkordgriff auf- und abschrumpsen. Ok, vielleicht wäre das dann auch nicht mehr Core. Wer weiß. Jedenfalls gibt es noch ein weiteres, ganz entscheidendes, stilbildendes Element, und das ist der deutliche Hang zu progressiven Klängen. Ihr stellt fest, ich habe "Progressive" nicht oben in die Genrebezeichnung eingefügt. Ich finde, dass die progressiven Anteile so gemessen eingesetzt sind, dass eine eindeutige Zuordnung zum Progressive zuviel Anschein von Frickelei machen würde. Das soll den Anspruch aber nicht schmälern, SYNDEMIC spielen hier wirklich auf hohem Niveau, setzen die progressiven Parts aber so gekonnt in den Melodeath ein, dass man nicht direkt Matheformeln vor dem inneren Auge schweben sieht.

Eine sicher große Stärke und vielleicht auch Ausdruck der eben thematisierten Progressivität ist die Variabilität der Stücke. Ich will dabei eins besonders herausstellen, denn zu dem kehre ich immer wieder gern zurück, da dessen überdeutliche Reminiszenz an Stoner Metal mich direkt umgehauen hat. Die Rede ist natürlich von "Carnal Sedation", und wenn diese Riffs nicht tonnenschwer sind, was sind sie dann? Der krasse Kontrast zu den geflüsterten Passagen mit cleanen Gitarren macht das Stück nur umso interessanter. Ohne Umschweife bin ich hier direkt zu meinem Lieblingstrack gekommen, aber "Annihilate The I" hat (bis auf einen Titeltrack) noch viel mehr zu bieten! Nehmt "Whispers Of Retribution" zum Beispiel, das dank stark blackmetallischer Screams einen richtig fiesen Vibe hat und auch noch die eingängigsten Lyrics liefert ("I can see my doom"). Oder "Exileseeker" mit den meiner bescheidenen Meinung nach heftigsten Ohrwurm-Hooks auf der Scheibe. "Mist Of Singularity" dann erzeugt ein merkwürdiges Deja vu-Gefühl in mir. Ich meine, einige Parts vom Beginn des Albums wiederzufinden, kann aber nicht den Finger darauf legen. Das Gefühl der Unendlichkeitsschleife ist überaus stark. Das Prinzip ist genial: Man muss sich das Album einfach noch mal von vorne anhören.

Das ist jedoch nicht das einzige Gefühl an Vertrautheit, das SYNDEMIC in mir auslösen. Der Stil ist extrem kompatibel zu einigen guten, alten Bekannten, nämlich den Melodic Death/Doomern NAILED TO OBSCURITY. Ja, wirklich! SYNDEMIC klingen wie der kleine Bruder der ostfriesischen Ausnahmetalente, wenn man jene um den Doom erleichtert, ein paar BPM drauflegt und etwas mehr Shredding und hier und da auch Blastbeats betreibt. Verwechslungsgefahr besteht aber nicht, keine Sorge. Ich will damit einfach sagen, dass sie verdammt viel richtig machen. Denn wer auf Erstere steht oder auf ähnliche Sachen wie DECEMBRE NOIR oder Konsorten, der wird bei SYNDEMIC garantiert gut aufgehoben sein - vorausgesetzt, die Pumpe macht die höhere Schlagzahl mit.

Anspieltipps: "Exileseeker", "Whispers Of Retribution" und das mächtige "Carnal Sedation"

Fazit

SYNDEMICs Zweitwerk "Annihilate The I" überzeugt nicht nur, sondern begeistert. Ein ganz starker Dauerrotationskandidat, den ich sicher noch oft auflegen werde. Sehr variabel, mit deutlich progressivem Hang, dabei immer hörbar, und das in jeder Lebenslage. "Annihilate The I" scheint Emotionen nict zu erzeugen, sondern zu verstärken. Eine intensive Erfahrung, die man sich unbedingt mal geben sollte. Der metallische Imperativ bedingt, dass man sich dieses Album kaufen muss. Man hat keine Wahl.

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