Nero Doctrine - II: Interitus

von Rüdiger Vinschen

Bewertung: 7/10

Nero Doctrine - II: Interitus

DYSTOPIA ist tot, es lebe NERO DOCTRINE! Wie der Phönix aus der Asche (Fuck, bringe ich diese Metapher jetzt zum zweiten Mal an?) erhebt sich eine neu geborene Band in frischem Gewand, aber mit gleichem Innenleben. Die einzige Veröffentlichung unter dem Banner von DYSTOPIA war der 2013er Longplayer "Tools Of Oblivion", der mir damals zum Review vorlag. Stilistisch haben sich NERO DOCTRINE um so einige Nuancen bewegt. Ihr damals deutlich Core-lastiger, moderner Death/Thrash-Mix hat sich mehr Richtung Melodeath bewegt, auch wenn viele moderne Elemente geblieben sind. Geblieben sind auch, und das ist sehr erfreulich, sämtliche Mitglieder der alten Truppe. Ist doch schön zu sehen, dass eine Neuorientierung so einstimmig vollzogen wird. NERO DOCTRINE, so meine persönliche Meinung, ist auch ein Name mit deutlich mehr Wiedererkennungswert als DYSTOPIA, zumal letztere Bandbezeichnung schon recht inflationär gebraucht wird. Der Verweis auf den irren Zündel-Herrscher Nero ist außerdem ein ziemlich starkes Sinnbild einer dystopischen Gesellschaftsordnung.

Nun also zum Eingemachten, hören wir in das erste neue Werk, das den vielsagenden Namen "II - Interitus" (zu Deutsch: "Zerstörung") trägt, einmal genauer rein. Und hui, was als Erstes auffällt, ist die dumpfe, fast schon rumpelige Produktion. Zu Beginn scheinen die Tiefen ein wenig überbetont. Drums und Rhythmusgitarren stehen mit viel Loudness im Vordergrund, während die Vocals leicht Mühe zu haben scheinen, bei dem Soundgewitter mitzuhalten. Transparent geht anders, ich denke, hier wurde versucht, dem Sound ein tüchtiges Stück Organik zu verpassen. Zunächst ist das Ganze noch recht gewöhnungsbedürftig und lässt vor allem die Blastbeats in den beiden ersten Stücken "...And Then The Stones Began To Speak" und "Plague" in keinem guten Licht stehen, ein Freund dieser Blasts werde ich nicht mehr. Aber man gewöhnt sich schnell daran und kann sogar Gefallen am brachialen Röhren finden. Sowieso startet die Platte erst mit "Circumcised" so richtig durch. Ab hier frohlockt das Metallerherz eigentlich nur noch. Am stärksten sind NERO DOCTRINE, wenn sie die richtig schönen Stampfer auspacken, Slam Death Metal mit geilem Groove, oder sich auch mal bei altem Schweden-Death nach ENTOMBED-Machart ("Face To The Ground") bedienen - nur eben bereichert um modernere Elemente.

In dem Zusammenhang hat's mir ja besonders "Hope Is Just A Word" angetan. Und da vor allem die sehr nice Bridge etwa zur Mitte, gefolgt von dem Basspart und der gesprochenen Passage, nur um dann ganz plötzlich einen Stoner/Doom-Loop auszupacken. Genial! Nur hätte der Loop ruhig einige Takte kürzer sein dürfen. Außerdem erwähnenswert ist in jedem Fall "The Eyes Of Truth". Nicht nur fügen sich hier die Blastbeats vorbildlich ein, auch sonst ist mir die Ballerbude positiv aufgefallen. Thomas Schubert hat ja ein ganzes Arsenal an verschiedenen Splashes, Crashes, Rides und so weiter (die Kleinen machen den Unterschied) an seinem Drumset, die er auch oft und gerne nutzt. Da hat er öfter mal geile Fills auf Lager, die wirklich gute Akzente setzen können. Selbstverständlich ist "Doch Die Lichter Sind Kalt" ebenso bemerkenswert, ist er doch der erste und bisher einzige Song, den NERO DOCTRINE aka DYSTOPIA auf Deutsch verfasst haben. Würde man von den Vocals noch mehr verstehen, fände ich das noch besser.

Stefan Rengerts Vocals dürfen im Allgemeinen als Bereicherung angesehen werden. Ha, da muss ich unbedingt was zu ablassen. Ich lese ja beim Schreiben häufig andere Reviews, um mal meinen eigenen Standpunkt mit anderen zu vergleichen und zu sehen, ob es da vielleicht Überschneidungen oder anders lautende Meinungen gibt. Und da hat ein Kollege NERO DOCTRINE doch allen Ernstes nahegelegt, sich einen anderen Sänger zuzulegen, damit man noch mehr dem Core entsagen und mehr Melodeath-ig sein kann. Äh, nein? Warum das jetzt? Ich hasse dieses ewige Auf-der-Stelle-Treten, dass jeder Hans und Franz mit einer Computertastatur gestandenen Musikern vorschreibt, wie Metal zu sein hat, und wie nicht. Und meistens hat er dann so zu sein, wie man es halt kennt. Eben nicht! Ich selber bin im Metalcore nicht gerade zu Hause und finde einige Entwicklungen ganz furchtbar, wenn zum Beispiel sechs Kiddos auf der Bühne stehen und mit drei Achtsaitern immerzu dasselbe Breakdown-Riff malträtieren müssen und dabei weniger zustandebringen als Slash auf der einsaitigen Flamenco-Gitarre seiner Oma. Trotzdem sind die stilistischen Neuerungen, gerade wenn sie mit Bekanntem gekonnt gemixt werden, mitunter extrem geil zu hören. Da gehört Rengerts Shouting deutlich zu den positiven Beispielen, wie man ein Genre bereichern kann. Und kommt - so viel anders als ein Anders Fríden klingt er jetzt stimmlich auch nicht. Also, Rant beendet, Fazit: Die Vocals finde ich gut, wenn auch nicht over the top.

"See, Those Fires Burn" bildet einen gut ausbalancierten, sehr melodischen Abschluss, der endet, wie das Album begonnen hat, im Knistern und Rauschen des Plattenspielers. Straffe Leistung, muss ich sagen!

Anspieltipps: "Circumcised", "Hope Is Just A Word", "See, Those Fired Burn"

Fazit

"II - Interitus" ist definitiv ein Album, das seine Momente hat, die es vom atmosphärischen Rauschen der mittelmäßigen Bands abheben. Ich kann nicht sagen, dass ich ausnahmslos alles Klasse finde, aber mehr als die Hälfte der Stücke sind Musik, die man gerne noch mal auspackt und auflegt. Allein, zur Dauerrotation reicht es noch nicht. Ich habe noch keine Nummer gefunden, die so dringend in meine Favourites will, dass sie andere daraus verdrängt. Trotzdem haben NERO DOCTRINE ein Werk geschaffen, das Hörspaß bietet und nicht langweilig wird. Vor allem haben sie sich neuen Einflüssen geöffnet und experimentieren mit wirklich guten Ideen. Weiter so!

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