Thoughts Factory

von Rüdiger Vinschen

Thoughts Factory

Das Ausnahme-Debüt-Album "Lost" der Frankfurter Progressive Metal-Formation THOUGHTS FACTORY hat kürzlich seinen zweiten Geburtstag gefeiert, und auch sonst ist viel in Bewegung im Süden. Cornelius Wurth heißt der neue Mann am Mikro, das Songwriting für den Nachfolger hat begonnen, also war es mal höchste Zeit, dass wir bei den Jungs mal reinhören, wie's so läuft.

Rüdiger: Hi und vielen Dank, dass Ihr Euch Zeit für ein kurzes Interview nehmt! Wie läuft’s denn zurzeit bei Euch?

Cornelius: Also, wir haben uns jetzt mal für eine Recording-Session getroffen, um überhaupt anhand einer ersten Probe zu schauen, wie wir songwritingtechnisch zusammenpassen, in welche Richtung es gehen kann oder soll, was wir überhaupt wollen. Ob es so weitergehen soll wie bisher, oder wir neue Wege einschlagen wollen. Wann haben wir uns getroffen, Sven? Vor Zwei Monaten? War das im Februar?

Sven: Nein, das muss im Januar gewesen sein.

Cornelius: Genau, gegen Mitte oder Ende Januar muss das gewesen sein. Ich bin dann zu Sven hochgefahren und hab‘ bei ihm gepennt. Wir haben zwei Tage lang aufgenommen und einfach geschaut, was so dabei rumkommt. Ja, und es war ziemlich geil! Es hat auf Anhieb ziemlich gut gepasst.

Rüdiger: Ja Cornelius, Du, als Neuer in der Truppe und dazu noch ausgebildeter und studierter Musiker, wirst bestimmt einige neue Inputs mitbringen. Baut Ihr das Projekt um die  zusammenwachsende Gruppe neu auf?

Sven: Also ich denke, im Vergleich zu vorher ändert sich schon einiges. Cornelius wird ja jetzt in den Songwritingprozess aktiv einsteigen und zusammen mit mir zu gleichen Teilen für das Songwriting verantwortlich sein. Das erste Album „Lost“ hatte ich ja mehr oder weniger alleine geschrieben. Aber wie Cornelius schon gesagt hat, hat sich in der ersten Songwriting-Session herausgestellt, dass wir viele Gemeinsamkeiten haben und uns relativ schnell einig sind, was wir wie machen wollen.

Rüdiger: Ergeben sich dadurch, dass Du auch Gitarre spielst, Cornelius, dabei auch neue Möglichkeiten? Hört man Euch dann in Zukunft auch mal mit zwei Gitarren?

Cornelius: Das könnte ich mir auf jeden Fall vorstellen. Das liegt aber auch an Markus, inwieweit er sich da als Hauptgitarrist sieht und vielleicht auch mal ein bisschen zurücktreten kann oder möchte. Aber das sieht man dann, wenn es zum Proben und zu den Aufnahmen geht, weil wir auch vom Stil her völlig unterschiedlich sind. Ich habe früher, besonders vor meinem Studium, viel Metal gemacht. Während meines Studiums habe ich dann fast nur noch Jazz gemacht und alles, was damit einhergeht – Funk, Fusion, Soul, natürlich auch viel Pop und so weiter. In meinem Stil habe ich mich ziemlich stark gewandelt, war früher zum Beispiel vollkommener DREAM THEATER-Fanboy, heute dagegen gar nicht mehr. Ich renn‘ nur noch den L.A.-Studiotypen hinterher, auch soundmäßig. Gerade deswegen bringe ich gitarrentechnisch was ganz Neues mit, und ich denke, es wird auch wahnsinnig interessant, wenn Markus Sachen auf der Gitarre spielen wird, die ich geschrieben habe.

Sven: Ich denke, es ist für uns ein großer Vorteil, dass wir jetzt zwei Gitarristen haben, die auch aus verschiedenen Äras kommen. Markus ist über 40 Jahre alt, Cornelius, Du bist jetzt 23. Markus ist einfach zwei Jahrzehnte älter und hat deswegen auch ganz andere Einflüsse, was die Musik angeht.

Rüdiger: Ich habe gesehen, dass Du viele verschiedene Sachen machst. Ihr habt bei Eurem Willkommenspost auf Facebook einige Projekte aufgelistet. Da sind die ROCKABOUT ACES dabei, was mehr in die klassische Richtung geht, dann aber auch wieder eine Siebziger-Disco-Truppe (URBAN DANCE MACHINE). Ist das Dein Ding, die Vielseitigkeit in der Musik auszuleben?

Cornelius: Also, erst einmal bin ich noch nicht so lange in Mannheim, und da ist es als Freiberufler oder als selbständiger Musiker generell schwer, in die Pötte zu kommen, zumal ich noch so jung bin. In der Musik ist es oftmals anders als auf dem freien Markt oder in normalen Firmen. Es wird oft mehr auf Erfahrung und Routine gesetzt als auf junges Frischfleisch, das jetzt grad von der Uni kommt. Das ist in jungen Firmen oftmals anders, da werden meist Master-Absolventen gesucht. Ich habe am Anfang einfach versucht, hier in der Gegend Fuß zu fassen. Aber speziell die URBAN DANCE MACHINE ist mehr oder weniger eine Supergroup aus den besten Musikern, die Du im Rhein-Neckar-Kreis finden kannst, und mit den Leuten würde ich alles spielen. Das ist so geil mit den Typen, das ist der Wahnsinn. Aber, wie gesagt habe ich noch ganz viele andere Sachen am Laufen, zum Beispiel eine JOURNEY Tribute-Band (JOURNEYE), noch eine weitere Band in Köln, mit der wir eigenes Zeug machen, so Vintage Retro-Zeug, so in die Richtung BEATLES, QUEEN, BOWIE. Früher habe ich - wie schon gesagt - Metal gemacht, spiele auch immer wieder gerne Jazz oder Tanzmucke oder so. Solange es menschlich passt, soll mir fast alles recht sein.

Rüdiger: In dem Zusammenhang habe ich noch eine Frage, die mehr in Svens Richtung zielt. Eure Vitas in der Band lesen sich für einen Normalsterblichen oder Hobbymusiker ziemlich beeindruckend. Ihr seid ausgebildet, studierte Musiker, Endorsements macht Ihr einige. Zählt Ihr das zu den Anforderungen für Leute, die bei Euch mitzocken wollen, falls eine Stelle frei ist?

Sven: Den Anspruch haben wir eigentlich nicht. Man sieht’s vielleicht auch daran, dass Bernd und ich die sind, die ein wenig aus diesem Raster fallen, weil wir eben nicht studiert haben. Gut, ich bin noch Student, aber eben nicht für Musik, Bernd arbeitet ganz „normal“. Das Schwierige ist halt, dass man Leute finden muss, die das Zeug erstens mögen und zweitens auch spielen können. Und wenn Du Leute suchst, die im Prog-Bereich kreativ sind und das alles leisten können, dann landest Du fast zwangsläufig bei Profimusikern.

Rüdiger: Und wie ist Cornelius konkret dazugekommen? Kanntet Ihr Euch vorher?

Sven: Nein, wir kannten uns vorher nicht. Marcus hat uns ja letztes Jahr mitgeteilt, dass er nicht mehr weitermachen möchte. Ich hab‘ daraufhin im Internet einfach mal recherchiert, was es so für Leute gibt. Und ich hab‘ ziemlich schnell festgestellt, dass es immer nur Anzeigen mit „Band sucht Sänger“ gibt, aber nie welche mit „Sänger sucht Band“. (lacht) Dann habe ich auf einem Portal gesehen, dass es eine Suchmaske gibt und einfach mal „Sänger“, „Profimusiker“ und „Richtung Rock / Metal“ eingegeben. Da gab es drei Hits, und einer davon war Cornelius. Von ihm habe ich mir dann noch ein, zwei Youtube-Videos angeschaut und ihn daraufhin kontaktiert. So habe ich glücklicherweise ziemlich schnell einen neuen Sänger für uns gefunden.

Cornelius Wurth (Vocals)Rüdiger: Dann gab’s noch diese kleinen Soundcloud-Snippets von Cornelius‘ Können, und dann war’s um Dich geschehen?

Sven: Also, mich hat natürlich schon vorher der Pokemon-Song beeindruckt.

Cornelius: (lacht)

Rüdiger: Klasse. Aber neben THOUGHTS FACTORY habt Ihr alle noch weitere Eisen im Feuer, oder? Neuestes Beispiel ist ja Bernd mit der Guest Appearance bei DANTE. Wie ist das für Euch, vor allem für Dich, Sven? Siehst Du THOUGHTS FACTORY als Dein Hauptprojekt? Ich frage auch vor dem Hintergrund, dass THOUGHTS FACTORY ursprünglich ja mal als reines Studioprojekt konzipiert war.

Sven: Ja, das ist auf jeden Fall mein Hauptprojekt. Ich habe sonst noch eine Classic Rock-Coverband hier bei mir im Ort, aber das sind auch alles Hobbymusiker. Mit denen mache ich so fünf, sechs Gigs im Jahr, einfach so zum Spaß. In dem Sinne ist THOUGHTS FACTORY mein einziges großes Projekt. Das mit dem Studioprojekt-Charakter war für das erste Album angedacht. Damals stand das Ganze vor dem Hintergrund, dass ich noch keine Leute hatte und es zunächst immer leichter ist, jemanden zu fragen, ob er mal was einsingen kann oder zu einem Song Bass spielen kann. Aber das hat sich dann glücklicherweise zu einer Band entwickelt, und nachdem jetzt „Lost“ abgeschlossen ist, soll es natürlich weiter in Richtung Band gehen.

Rüdiger: Tretet Ihr da in näherer Zukunft mit THOUGHTS FACTORY auch noch live auf?

Sven: Kann passieren, dass wir dieses Jahr noch mal spielen, das ist aber noch nicht sicher.

Rüdiger: Die Bandfindung und das Songwriting sind bestimmt jetzt eher Eure Hauptbeschäftigung. Da bin ich natürlich auch echt gespannt, weil mir „Lost“ richtig gut gefallen hat. Es ist wahrscheinlich noch zu früh, dazu was zu sagen, aber kannst Du vielleicht so ungefähr schätzen, wie lange Ihr noch braucht?

Sven: Wir wollen natürlich schnellstmöglich was schaffen. Gut, seit „Lost“ sind jetzt auch schon über zwei Jahre vergangen. Ich denke mal, Du weißt auch, wie lange sowas dauert, weil Du Dich mit den ganzen Releases immer beschäftigst. Selbst wenn das Album fertig geschrieben ist, kannst Du für das Studio mindestens ein halbes Jahr dazurechnen, selbst wenn alles glatt geht. Der Plan ist, dass wir bis zum Sommer den Großteil geschrieben haben. Ich habe jetzt schon drei Songs stehen, die ich alleine geschrieben habe, und einen habe ich mit Cornelius zusammen geschrieben. Ich bin ab Anfang April mit meinem Studium fertig und habe dann im Herbst nur noch meine Examensprüfung. Von daher habe ich bald viel Zeit, und die wollen wir bestmöglich nutzen, damit wir bis zum Sommer das Gröbste stehen haben, sodass das zweite Album auf jeden Fall nächstes Jahr rauskommen kann. Natürlich: Je früher, desto besser. Aber wenn ich jetzt sage, dass es Ende des Jahres ein neues Album gibt, das wäre, glaube ich, unrealistisch.

Rüdiger: Für einen Schnellschuss ist Euer persönlicher Anspruch auch einfach zu hoch, denke ich, nicht wahr?

Sven: Ja, auf jeden Fall lieber ein paar Tage länger gebraucht als irgendwas Halbgares herausgebracht, bei dem ich später so denke „Mensch, hättest Du Dir mal ein paar Tage mehr Zeit genommen.“

Cornelius: Ich denke auch, dass Abstand bei so einer Sache sehr wichtig ist. Wenn wir uns jetzt für zwei Monate einschließen, dann wäre das Ding mit Sicherheit fertig, aber dieser lange Prozess an sich bringt ein ganz anderes Ergebnis mit sich, weil man immer wieder Zeit hat, sich noch einmal zu besinnen und zu überlegen, ob man da vielleicht doch was anderes machen will. Wenn man sich ein Jahr Zeit nimmt, kann musikalisch so viel passieren, vielleicht gefällt dem einen oder anderen etwas nicht mehr. Gerade, weil wir noch so jung sind, verändern sich unsere Geschmäcker extrem häufig. Deswegen ist ein Jahr auf jeden Fall sinnvoll. Ob es am Ende länger dauert oder schneller geht, kann ich jetzt auch noch nicht sagen.

Rüdiger: Ist der Taschenrechner beim Songwriting eigentlich immer dabei?

Cornelius: Wir haben ihn das letzte Mal gebraucht.

Sven: Ich glaube schon, dass wir ihn das letzte Mal benutzt haben. Er liegt zumindest immer hier bei mir am Computer. Ich benutze ihn für Time Changes, da geht’s ja immer um Verhältnisse. Ansonsten nehme ich ihn zur Berechnung von Delaytimes.

Rüdiger: Ist es noch zu früh, um ein bisschen aus dem Nähkästchen zu plaudern, was das zweite Album für eins wird? „Lost“ war ja ein sehr homogenes Konzeptalbum, das eine sehr persönliche Geschichte hatte. Wisst Ihr schon, wo die Reise hingeht oder wollt Ihr das nicht sagen?

Cornelius: Sollen wir was verraten? Also von mir aus gerne.

Sven: Also, wenn ich etwas sagen könnte, würde ich das gern machen, aber was? Außer, Cornelius weiß jetzt irgendwas, was ich nicht weiß. (lacht)

Cornelius: Ich kann Dir nur mein Gefühl beschreiben, das ich in den zwei Tagen Recording Session hatte. Ich glaube, dass es irgendwie…wie soll ich das sagen? Wenn ich jetzt sage, dass es frischer klingt, dann klingt das so, als wenn das erste Album eingestaubt wäre, und das ist es ja nicht. Aber ich denke, wir werden mehr Neues ausprobieren. Das hatte ich beim ersten Track schon im Gefühl, den wir zusammen geschrieben haben. Wir haben viele Sachen gemacht und viele Ideen gehabt, bei denen ich alleine gesagt hätte, dass die total ausgelutscht seien und gar nicht gingen. Aber in dem Zusammenhang klang es einfach vollkommen anders und hat super funktioniert. Ich denke, dass wir durch mich am Ende mehr Rock-Einflüsse haben werden, als das bei „Lost“ der Fall ist. Ansonsten versuche ich natürlich, so viel von mir einzubringen, wie möglich, ob das jetzt Jazzchords sind oder auch meine Stimme. Das sieht man dann. Wenn es passt, dann passt’s. Ich bin auf jeden Fall ein ganz anderer Typ Sänger als Marcus. Speziell dadurch wird sich einiges am Sound verändern.

Rüdiger: Ja, auf jeden Fall. Das merkt man auf Anhieb. Die bisherigen Stücke kannst Du natürlich einwandfrei singen, aber man merkt auch, dass da noch ein ganz anderer Touch in der Klangfarbe liegt.

Cornelius: Ich gehe, denke ich, auf jeden Fall mehr in Richtung Hard Rock- oder Metal-Sänger. Gerade dadurch, dass ich fantastischen Unterricht genießen durfte, gibt es wahrscheinlich einige Möglichkeiten mehr, was die Range oder die klangliche Vielfalt angeht. Ich bin gespannt. Vielleicht werden wir uns auch auf einen bestimmten Stil beschränken, weil der am besten funktioniert. Eigentlich habe ich doch keine Ahnung wohin die Reise geht. (lacht)

Thoughts Factory - LostRüdiger: Oh je, aufgepasst, jetzt hab‘ ich eine Kaugummifrage: Meiner Meinung nach ist Eure Musik vertrackt und progressiv genug, dass man lange und auch in der Tiefe viel Spaß daran hat. Ich finde jetzt aber nicht, dass „Lost“ besonders viel Aufmerksamkeit oder Konzentration beim Hören erfordert, das war eine sehr gefällige Platte. Es gibt dagegen ja auch andere Platten, an denen man genau dranbleiben muss, sonst zünden sie nicht. Bei Euch ist das ganz anders. Wie kommt das, abgesehen davon, dass Ihr verdammt gut seid?

Sven: (lacht) Ähm, das ist eine gute Frage. Ich hatte, als ich „Lost“ geschrieben habe, immer den Anspruch, dass ich schon Prog machen will, also etwas, das nicht absolut 08/15 ist, wo auch tempomäßig und taktmäßig mal was passiert, wo man mit Themen arbeiten kann, aber ohne in endloses, nichtssagendes Gefrickel abzudriften. Es gibt zwar auch lange Instrumentalparts in „Lost“, aber die sind doch alle ziemlich melodisch und auch einfacher gehalten als man es von mancher größeren Prog-Band gewohnt ist.

Cornelius: Das hat bei meinen Solo-Sachen zum Beispiel nie funktioniert. Ich habe mir manches Mal gedacht, machst Du halt mal was Einfaches, aber wenn ich mir ältere Sachen von mir selbst dann später anhöre, fällt mir oft auf, dass das doch viel zu komplex geworden ist und viel komplexer, als ich beabsichtigt hatte. Da bin ich auch echt froh, dass der Sven da an meiner Seite ist. Um den Kaugummi jetzt mal auszunutzen, würde ich das nicht immer nur auf unsere Musik beziehen. Nimm Dir mal Zeit und hör Dir mal eine Platte an wie „Tales From Topographic Oceans“ von YES. Wenn Du das im Auto anmachst, wirst Du wahrscheinlich verrückt. Für so eine Platte brauchst Du einfach Zeit und musst Dich hinsetzen, nicht nur, um alles aufzunehmen, was da musikalisch passiert, sondern um zu begreifen, welche Emotion da eigentlich erzeugt werden soll, ob Angst, Frust oder Freude. Diese ganzen Sachen lassen sich oftmals erst erkennen, wenn man sich hinsetzt und sich das Album anhört, so wie wenn man bewusst einen Film anschaut. Das finde ich manchmal sogar noch schwieriger als zu sagen, dass man jetzt einfach nicht nur komplizierte Musik macht, sondern emotional komplexe Musik, die in sich schlüssig ist und trotzdem bestimmte Emotionen erzeugt und das sogar noch so intensiv, dass man sich darauf konzentrieren muss.

Rüdiger: Wie ist das mit der erzeugten Stimmung eigentlich live? Was man vom Publikum zurückbekommt, ist ja doch meistens eher Freude und wenig Anderes. Hattet Ihr da auch mal andere Momente, bei denen Ihr auch mal andere Emotionen beim Publikum bemerkt habt? Wollt Ihr sowas gerne auslösen? Geht das überhaupt?

Cornelius: Das kann auf jeden Fall funktionieren. Ich hatte mit meiner alten Prog Rock-Band, das war auch mehr ein Hobby mit Freunden, wir haben jedes Wochenende zusammengehockt und fünf Jahre lang nur Songs geschrieben und dann drei Konzerte gespielt oder so. Da haben wir auch mal ein größeres Konzert gehabt, das war sogar bestuhlt. Das hat den Leuten super die Möglichkeit gegeben, sich drauf einzulassen, weil sie nicht zusammengepfercht dastehen mussten, sondern sich zurücklehnen und das Ganze auf sich wirken lassen konnten. Sie hatten die Möglichkeit, sich mal zu besinnen und nicht so viele Einflüsse von außen wahrzunehmen und es sich einfach anzuhören. Ich würde es mir manchmal wünschen, dass man in bestimmten Momenten eher weint, weil es einfach mehr Sinn machen würde, als sich zu freuen, wenigstens lyrisch gesehen. Aber ich denke, am Ende sollte man das dem Publikum überlassen, was sie aus der Musik interpretieren. Schließlich sind wir nur Nachrichtenüberbringer. Wir haben eine Message, wir haben was zu sagen. Es ist natürlich schön, wenn man das bestmöglich beeinflussen kann, wie der eine oder andere das jetzt versteht, aber gerade die Interpretationsfähigkeit ist natürlich das, was Kunst generell interessant und komplex macht.

Sven: Also, das war jetzt die a priori-Antwort von Herrn Wurth. Ich versuche mal die a posteriori-Antwort aus der Sicht von THOUGHTS FACTORY zu geben. Mir ist jetzt auf unserer Tour oder bei Bülent niemand aufgefallen, der geweint hätte oder die Emotion gezeigt hätte, die der Song eigentlich hervorrufen würde, wenn man ihn komplett ernstnimmt und die Geschichte dahinter versteht. Aber ich denke, das kann man auch erst verstehen, wenn man die Platte öfter gehört hat und auch die Story wirklich verstanden hat. Für Leute, die uns beim Gig zum ersten Mal hören, weil sie wegen SUBSIGNAL gekommen sind, aber unsere Platte noch gar nicht kannten, besteht gar nicht wirklich die Möglichkeit, das sofort zu verstehen. Dann ist natürlich noch die Frage, ob dieser öffentliche Platz zwischen den ganzen anderen Leuten der Ort ist, an dem man seinen Gefühlen freien Lauf lassen will.

Rüdiger: Da wird man dann vielleicht auch gefragt, ob man die Band schlecht findet.

Beide: (lachen)

Rüdiger: Jetzt hast Du gerade eben noch mal das Stichwort Bülent gegeben. Das war natürlich für Euch eine sehr gute Möglichkeit, ein großes Publikum zu erreichen. Habt Ihr seitdem mal wieder ein ähnliches Angebot bekommen?

Sven: Nein, haben wir jetzt nicht. Das war eine einmalige Sache, die auch eher zufällig zustande gekommen ist. Bülents Tour war ja Ende letzten Jahres vorbei, der ist ja jetzt schon wieder mit seinem neuen Programm auf Tour. Ich denke mal, dass das eine einmalige Aktion bleiben wird, außer es ergibt sich zufällig mal wieder etwas.

Rüdiger: Ihr wart da natürlich mehr als Beiwerk verpflichtet, obwohl Bülent Euch in Mannheim dann auch mal die große Bühne überlassen hat. Das war ein beeindruckendes Foto. Wie waren denn Eure Erfahrungen, auch mit dem Publikum, im Vergleich zu normalen Shows? Konntet Ihr da ein paar Leute für Euch gewinnen?

Sven: Auf jeden Fall! Natürlich kann man nicht den Anspruch haben, bei einer Comedy-Show 50% der Zuschauer zu überzeugen. Obwohl es Bülent ist, sind die meisten wahrscheinlich eher keine Metaler. Ich denke mal, so ein paar Prozent konnten wir schon überzeugen. Es ist ja auch eine ungewöhnliche Sache, dass so eine Prog-Geschichte mal im größeren Stil einem Publikum präsentiert wird, das eigentlich gar nicht weiß, was da auf es zukommt. Das war auf jeden Fall eine spannende Sache und von der Resonanz her sogar positiver als wir es erwartet hatten.

Thoughts Factory live in Mannheim

Rüdiger: Inwiefern positiver? Mehr verkaufte Tonträger?

Sven: Ein bisschen was haben wir schon verkaufen können. Natürlich hätte es mehr sein können, aber die individuellen Rückmeldungen waren einfach gut. Wir hatten viele Leute, die gesagt haben, dass sie sich sowas eigentlich gar nicht anhören, aber dass sie uns echt cool fanden. Da kamen viele Leute, die jetzt nicht aus dem Metal- oder Prog-Bereich kommen.

Rüdiger: Einen großen Comedian habt Ihr jetzt schon supportet, und Helden und Einflüsse habt Ihr ja so einige. Welche Band würdet Ihr denn gern mal supporten?

Sven: Ja, wen würden wir gern supporten? Cornelius?

Cornelius: Schwierig, schwierig. Ich persönlich würde mal gern mit HAKEN spielen.

Sven: Da hättest du früher kommen müssen. (lacht)

Cornelius: Ich würde noch gern mit Stevie Wonder spielen, mit den FLOWER KINGS, auch wenn das wahrscheinlich nicht so gut zusammenpasst, TRANSATLANTIC wäre geil, oder vielleicht irgendwann mal SPOCK’S BEARD mit Neal Morse. Keine Ahnung.

Sven: Bei Neal Morse und Mike Portnoy wäre ich auch auf jeden Fall dabei. Das sind so mit die coolsten Leute für mich.

Rüdiger: An DREAM THEATER hast Du Dich sattgehört, meintest Du, Cornelius?

Cornelius: Ja, schon. Ich finde, dass die Band früher wahnsinnig innovativ war und einen tollen Sound hatte. Natürlich ist es für einen Musiker immer schwer, immer was Neues zu machen. Bis „Octavarium“ haben sie das aber eigentlich geschafft. Selbst „Systematic Chaos“ war noch mal irgendwie ganz anders. Bei „Black Clouds“ hatte man schon ein bisschen das Gefühl, dass irgendwie die Luft raus ist, und die letzten drei Alben…naja. „The Astonishing“ hatte ich mir ganze fünf Minuten angehört und habe es dann ausgemacht, weil ich es wahnsinnig kitschig und überladen fand. Ich verehre immer noch die alten Platten, und „Images And Words“ und „Awake“ sind wahrscheinlich die Prog-Platten, die mich in dieser Musikrichtung am meisten geprägt haben. Aber die neuen Sachen gehen so gar nicht mehr an mich ran. Früher war ich wie gesagt der totale Fanboy und als Gitarrist eben wahnsinniger Petrucci-Fan. Heute kann ich mich mit diesem Musiker überhaupt nicht mehr identifizieren, weil ich einfach gitarrentechnisch ein ganz anderer Typ geworden bin, viel puristischer, viel mehr auf eine Message besinnt. Aber das ist natürlich Geschmackssache.

Rüdiger: Ist innovativ zu sein immer etwas, hinter dem man als Musiker hinterherrennt? Hat man da Sorge, irgendwann an Innovationskraft zu verlieren?

Sven: Ich weiß nicht, ob wir jetzt mit „Lost“ so was wahnsinnig Neues geschaffen haben. Gute Frage. Ich denke mal, HAKEN musste auch erst einmal seinen Style finden. Ich weiß nicht, wir werden mit dem zweiten Album sowieso noch mal einen Sprung machen, da es deutlich anders als das erste werden wird. Aber Innovation…? Hm. Vor allem mit den Keyboard-Sounds ist natürlich viel möglich, da bin ich dann gefragt. Ich bin aber auch mehr auf die klassischen Sounds fixiert wie Streicher, Mellotrons, Pianos, als jetzt irgendwelche abgefahrenen Synthie-Sachen zu programmieren. Das habe ich natürlich auch ab und zu mal dabei, aber ich bin dann doch eher in die klassische Richtung unterwegs.

Cornelius: Komischerweise geht es mir, wenn ich mir meine Solo-Sachen anhöre, fast ganz genau so, zumindest wenn ich mir die Keyboard-Tracks anhöre. Ich habe auf meiner eigenen Platte einen Keyboard-Leadsound verwendet, den ich fast durchgängig benutzt habe, weil ich den einfach wahnsinnig geil fand. Ansonsten habe ich fast nur versucht, diesen Siebziger-Jahre Keyboarder-Geist einzufangen. Aber gitarrentechnisch, um den Bogen zurück zu spannen, wird’s jetzt ziemlich interessant, glaube ich. Ich bin weder ein klassischer Rock-Gitarrist, noch ein klassischer Metal-Gitarrist. Ich habe seit ich weiß nicht mehr wie vielen Jahren nicht mehr gesweept. Ich hab‘ das früher geübt wie irre, und heute benutze ich solche Techniken zum Beispiel überhaupt nicht mehr, weil es mir nicht hilft, irgendwas auszusagen. Was ein starker Einfluss in meinem Spiel ist, ist auf jeden Fall Post Rock, OCEANSIZE ist auf jeden Fall eine meiner All Time Favourite-Bands. Ich hoffe, dass ich da in unsere neue Platte diesen Post-Rock an manchen Stellen einbringen kann, dass wir vielleicht mal eine Keyboard-Fläche von einer Gitarre spielen lassen und irgendwas Abgefahrenes daraus zaubern und dann vielleicht das Keyboard die Melodie spielt anstatt eines dicken Gitarren-Leadsounds oder so.

Rüdiger: Wie sieht’s showtechnisch aus? Was würdet Ihr da gern mal machen? Ein größeres Festival, oder vielleicht eine Metal-Kreuzfahrt?

Sven: (lacht) Da ist auch immer die Frage, wie die Leute Zeit haben. So eine einwöchige Tour kriegt man vielleicht noch organisiert, wenn es dann aber länger dauert…wie gesagt, Bernd ist fest angestellt in einer größeren Firma, Chris und Markus sind in der Musikschule, Cornelius muss natürlich auch sehen, wo er sein Geld als freiberuflicher Musiker verdient, und wie es bei mir weitergeht, muss ich auch erst sehen. Grundsätzlich haben wir nichts dagegen, wobei heute ein großes Problem auch ist, dass Du als kleine Band bei größeren Touren nur drauflegst. Selbst als mittelgroße Band kommt man vielleicht, wenn man Glück hat, bei null raus. Dass man aber jetzt so viele CDs verkauft, dass man damit eventuell noch den Tourbus finanziert, das kann man ja vergessen. Da zahlt man am Ende nur drauf, wobei man ja bei Gigs noch draufzahlen muss, damit man als Supportband überhaupt spielen darf.

Rüdiger: Ja, „pay to play“ ist wirklich ein Unding. Da kann man wirklich am Ende froh sein, wenn man seine Spritkosten raus hat.

Cornelius: Richtig, zumal ja heute auch viele kleinere Clubs gerade genug Leute reinbekommen, dass Du auf null rauskommst, und dann ist manchmal schon der Laden voll. Und dann hast Du da einen Mischer, der sich mit vielem beschäftigt, aber nicht mit Mixing, und dann blechst Du drei-, vierhundert Euro dafür, dass Du da spielen darfst, kriegst noch einen Sixpack Wasser oder einen Kasten Bier hingestellt und darfst gucken, wo Du bleibst.

Rüdiger: Ist es deswegen auch eher unrealistisch, dass man Euch mal im Norden sieht? Ich muss natürlich das fragen als Nordlicht.

Sven: Das kommt ganz darauf an, wie das zweite Album wird, wie es einschlägt und wie wir es promoten wollen. Falls sich wieder so eine Tourmöglichkeit ergibt wie damals mit SUBSIGNAL, und wenn wir das finanziell in irgendeiner Weise stemmen können, könnte ich mir schon vorstellen, dass wir auch wieder in den Norden kommen. Aber die Frage ist halt, ob sich so etwas ergibt. Denn selbst so eine kleine Tour auf die Beine zu stellen, können wir als kleine Band gar nicht leisten. Da muss man dann auch realistisch sein. Auch, wenn wir uns vielleicht mit anderen Bands zusammentun würden, zu denen wir ganz gute Connections haben – zum Beispiel zu DANTE, wo Bernd für deren neues Album auch Bass gespielt hat – ist es immer noch schwierig, was für beide Bands in Bremen oder so zu organisieren. Da kommen dann vielleicht zwanzig oder dreißig Leute, oder fünfzig, wenn’s hoch kommt. Man muss sehen, ob man das organisieren kann. Vielleicht schaffen wir es, im nächsten Jahr noch ein oder zwei Festivals mitzunehmen. Das muss man dann sehen, wenn es soweit ist. Das kann ich jetzt noch nicht sagen. Vielleicht werden wir ja auch alle Rockstars.

Rüdiger: Das wollen wir doch alle. Ich sage jedenfalls vielen Dank Euch beiden für das tolle Interview, meine Fragen sind mittlerweile aufgebraucht. Alles Gute für Euch und vielleicht bis bald!

 

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