The Other

von Rüdiger Vinschen

The Other

Rüdiger: Hallo und besten Dank für Eure kostbare Zeit! Bei Eurem Gig gestern war’s gut voll im Bullhead City Circus! Wie habt Ihr das von der Bühne aus mitbekommen?

Rod: Ja hi. Wir standen kurz vor Beginn hinter der Bühne, und unser Drummer (Doc Caligari; Anm. d. Red.) schaute durch den Vorhang nach draußen und guckte uns dann groß an. Ich fragte ihn: „Ist keiner da, oder was?“ Und er meinte: „Doch!“ Du guckst dann also durch den Vorhang und siehst nur Menschen. Das war natürlich geil, aber auch wahnsinnig aufregend. Wir haben oft vor großen Menschenmassen gespielt, letztes Jahr zum Beispiel in der Lanxess Arena vor 18.000 Zuschauern, aber das ist nicht dasselbe.

Pat: Wacken ist anders. Wacken ist immer was Besonderes, sowohl für einen als Gast, als auch als Musiker.

Rüdiger: Das war ja nun nicht Euer erster Auftritt in Wacken.

Rod: Ja, 2010 waren wir schonmal hier, aber das war natürlich ganz anders. Die WET Stage noch ein kleines Zelt an der Seite, kein Vergleich zum Bullhead City Circus. Wie viele Leute passen da rein? 15.000? Es war der Hammer. Wacken ist definitiv was Besonderes. Wir spielen demnächst auf dem Summerbreeze, zum dritten Mal, das war auch immer supergeil. Aber Wacken ist Wacken.

Rüdiger: Was macht Wacken denn so anders, auch im Vergleich zu so großen Zuschauerzahlen wie in der Lanxess Arena?

Rod: In der Lanxess war es ein Festival, wo die Leute sowieso da waren. Gestern waren die, die hier waren, für uns da. Die wollten uns sehen. Und das waren viele, viele Menschen. In Wacken kannst Du davon ausgehen, dass die Leute, die vor der Bühne sind, Dich sehen wollen, sonst würden sie zu einer der anderen Bühnen gehen. Man muss aber auch die Crew noch erwähnen, das alles läuft hier in Wacken so unglaublich perfekt. Du kriegst hier alles abgenommen, perfekte Technik, Anweisungen, alles. Du kriegst jemanden gestellt, der Dich die ganze Zeit begleitet, und die ganze Nervosität wird Dir genommen, weil jeder professionell arbeitet. Die Festivals auf denen wir spielen, M’era Luna und die anderen, sind auch super organisiert, aber diese Maschinerie, die hier läuft, ist einfach unvergleichbar. Und da muss man wirklich Danke sagen.

The Other - Fear ItselfRüdiger: Auf dem Gig habt Ihr natürlich viel von Eurer letzten Scheibe gespielt, „Fear Itself“. Werden die neueren Stücke noch besser abgefeiert, wie kam die Setlist zustande?

Rod: Schön, dass Du das fragst. Ich hab‘ gestern nach dem Gig noch gesagt, dass wir vielleicht noch einen alten Song hätten spielen sollen und hatten auch „Lover’s Lane“ noch auf der Setlist. Das haben wir aber zeitlich nicht geschafft. Wir haben jetzt nur Songs von den letzten beiden Platten gespielt, plus „Back To The Cemetery“ von der „New Blood“. Eigentlich hätte noch ein Old School-Song für die alten Fans dabei sein sollen, aber dazu hat die Spielzeit nicht gereicht. In den 30 Minuten willst Du die Band eben so präsentieren, wie sie aktuell ist. Pat und Ben (Ben Crowe, Guitars; Amn. d. Red.) sind relativ neu dabei, und dann spielt man besser Songs, in denen die zwei Gitarren besser zur Geltung kommen als bei denen, die vor 15 Jahren geschrieben wurden.

Rüdiger: Auf Festivals ist das bei der begrenzten Spielzeit natürlich noch schwieriger, oder?

Rod: Ja, genau. Uns war auch klar, dass wir den neuen Kram spielen müssen. Am Ende hat’s mir aber sehr leid getan, dass wir „Lover’s Lane“ nicht spielen konnten.

Rüdiger: Gehen die hier eigentlich streng mit dem Zeitlimit um?

Rod: (lacht) Ja, das haben die uns vorher schon gesagt. Wir hatten ja 30 Minuten, und bei 29,5 Minuten kam unser letzter Akkord. Ich guckte noch fragend zur Crew, aber die winkten schon ab. Kannst Du vergessen. Aber zu recht!

Pat: Nur so funktioniert das bei so einem großen Festival. Stell Dir mal vor, jeder würde überziehen.

Rod: Dann spielt BLUE ÖYSTER CULT plötzlich um sechs statt um zwei. Die waren auch eins meiner Highlights gestern.

Rüdiger: Gestern war ein guter Tag für Old School-Fans, ziemlich Rock-lastig, oder? FOREIGNER, WHITESNAKE…

Rod: Ja, ich bin einer davon. Ich liebe zwar auch Death Metal wie MORBID ANGEL, aber FOREIGNER ist was ganz anderes. Dann kommt „You’re as cold as ice“, und da sind Riffs, da sind Melodien für die Ewigkeit. Da geht mein Herz bei auf.

Pat: Das ist gerade als Einstieg genial, um in Stimmung zu kommen. Danach kann man sich auch was Filigraneres angucken.

Rod: Genau. Ich finde eigentlich, dass Wacken in der Richtung noch mehr machen könnte. Ok, es gibt noch das Bang Your Head, die leben davon, ein Retro-Festival zu sein. Das ist ein Alleinstellungsmerkmal. Aber ich würde mir wünschen, dass hier mal STRYPER spielen würden, oder WARRANT, DOKKEN, DEF LEPPARD, sowas. Wenn FOREIGNER so abgefeiert wurden gestern, dann kannst Du hier auch BOSTON spielen lassen.

Pat: Bei einigen japanischen Festivals hast Du da auch ein Lineup, da kannst Du ins Schwärmen geraten.

Rod: Das ist natürlich nicht unbedingt Wacken, aber mehr in der Richtung würde ich mir schon wünschen.

Pat LaveauRüdiger: Gut, Wacken war ja noch nie wirklich nur Metal, sondern auch zum guten Teil Rock und Punk.

Rod: Ja, SLIME habe ich hier zum Beispiel auch schon gesehen. Das finde ich geil, dass Wacken sich immer schon geöffnet hat. Da fühlen wir uns natürlich auch zu Hause, weil wir aus dem Punk Rock kommen.

Rüdiger: Einen kleinen Hang Richtung Metal habt Ihr ja schon. War das von Anfang an so?

Rod: Wir sind natürlich alle fast von Geburt an Metaller. Wir haben damals zwar als MISFITS-Coverband angefangen, aber Deine Herkunft kannst Du als Musiker auch nicht verleugnen. Wir haben eine Punk-Attitüde, wir lieben die Schnelligkeit und die Einfachheit im Punk, wie auch die Refrains, aber Metal ist unser Metier.

Rüdiger: Beim Punk sind’s bestimmt besonders die Mitsing-Refrains der alten Schule?

Rod: Ja, es ist eine Mischung aus 80er Punk - im Stil von KISS und MÖTLEY CRÜE - und BAD RELIGION. Der Refrain muss im Ohr sein.

Rüdiger: Gerade ist das Stichwort MISFITS schon gefallen, da muss ich natürlich einhaken. Was sagt Ihr denn zur Reunion?

Rod: Ja, ich bin hin- und hergerissen. Natürlich habe ich als Hardcore-MISFITS-Fan darauf immer hingefiebert, aber wir haben oft mit den Jerry Only-MISFITS gespielt, und Jerry Only ist kein sympathischer Mensch. Ich hab‘ DANZIG mit Doyle zweimal gesehen, als sie MISFITS gespielt haben, und ich denke mir dann, dass man den Jerry Only dabei auch nicht braucht. Wenn sie hier spielen, fahre ich allen Shows hinterher, das ist klar. Aber ich habe ein ambivalentes Verhältnis zu Jerry Only.

Rüdiger: Ist das mehr eine Zweckliebe, die sich da neu entwickelt hat?

Rod: Klar, Alter. Das letzte Mal, als ich DANZIG in Deutschland gesehen hab‘, waren 300 Leute da. Der verdient keine Kohle mehr.

Pat: Glenn Danzig ist auch ein Typ, der sehr auf’s Geld achtet. Das wird er schon im Hinterkopf haben.

Rod: Ja, richtig. Aber die Leute lieben es, und das zu recht, es ist eine Götter-Band, also wenn nicht jetzt, wann dann? Meine persönlichen Empfindungen spielen da auch keine Rolle. Da haben Millionen von Fans drauf gewartet. Aber für mich persönlich wäre eine DANZIG-Reunion im Original-Lineup viel mehr wert.

Rüdiger: Ok. Ein kleiner Themenschwenk, Euer Hauptthema, über das Ihr Euch definiert, ist natürlich der Horrorfilm. Seid Ihr selbst auch Horrorfilm-Fans?

Pat: Auf jeden Fall. Ich liebe die ganzen Freddy-Filme, „Nightmare“, „Freitag der 13.“, die klassischen Romero-Filme, zeitweise hab‘ ich sogar viel Splatter geguckt, das hat sich aber mittlerweile fast erledigt. Nur noch eklig muss nicht sein, da bin ich ganz froh, dass mal wieder sowas kommt wie „Insidious“. Super Film. Von diesen richtigen Gruselfilmen gibt’s ja mittlerweile wieder mehr.

Rod: Da sind wir genau einer Meinung, da haben wir oft drüber gesprochen. Der ganze Hardcore-Kram ist uns mittlerweile zu redundant. Es geht irgendwann nur noch um Blut und Gemetzel.

Pat: Es dreht sich da manchmal nur noch um Gewaltszenen.

Rod: Das ist wie ein Porno. Beim Porno geht’s um Sex, im Splatterfilm um Blut. Wir als Band definieren uns da eher über die alten Universal-Monsterfilme. An den Klassikern wie „Nosferatu“ oder „Caligari“ aus den 20ern, dann die 30er mit „Dracula“ und „Frankenstein“, aus den 50ern die Monsterfilme wie „Creature From The Black Lagoon“, „Tarantula“, das ist quasi unser Image-Leitfaden. Wo andere Leute „Pippi Langstrumpf“ an einem verkaterten Sonntag gucken, da lege ich lieber „Creature From The Black Lagoon“ ein und gucke einen schönen Schwarzweiß-Film.

Pat: Das ist bei mir „Twilight Zone“.

Rüdiger: Viele Splatterfilme rangieren mittlerweile im Horror-Underground, oder? Da hat sich doch eine richtige Szene drum gebildet. Kann man das mit der Musik- / Metalszene vergleichen?

Rod: Ich habe viel mit Regisseuren und Schauspielern zu tun, die sich in dem Metier bewegen, weil wir ja auch oft auf dem Weekend Of Horrors sind. Wir sind da immer praktisch die einzige Band, die Autogramme neben den Filmleuten geben. Ich freue mich schon tierisch auf den November, da darf ich John Carpenter treffen. Wenn man mal so richtig nervös sein darf, dann da. Der Mann ist Legende. Aber da rennen natürlich auch die Underground-Filmer rum, und ich finde das super, was die machen.

Pat: Solange es Leute gibt, die das gucken, passt doch alles.

Rod: Ich gucke da eher die weniger harten Sachen.

Rüdiger: Die mehr klassische Gruselfilm-Ausrichtung schlägt sich ja auch in Euren Songs nieder. Nehmt zum Beispiel mal „Bloodsucker“ über die Figur der Claudia aus „Interview mit einem Vampir“.

Rod: Da steckt natürlich eine besonders tragische Geschichte hinter der Figur. Im Prinzip könntest Du Dich über Jahrhunderte total austoben, bist aber zu jung, um zu saufen und zu vögeln. Wir fanden, dass das eine schöne Geschichte ist, die wir auch ein bisschen umgedeutet haben. „Interview mit einem Vampir“ ist auch ein unfassbar guter Film, und ich habe auch vorher das Buch von Anne Rice gelesen, das mir auch sehr gut gefallen hat.

Rod UsherRüdiger: Welche neueren Filme sind denn bei Euch angesagt? Der Gruselfilm ist ja wieder im Kommen, wenn man zum Beispiel mal an „The Conjuring“, „Mama“ oder „Paranormal Activity“ denkt.

Pat: Das ist für mich eindeutig „Insidious“. Der ist wirklich gut, auch was diese Attitüde angeht, die auf die 80er zurückgeht, auf solche Filme wie „The Exorcist“.

Rod: Ja, gerade die „Paranormal Activity“-Teile finde ich phänomenal. Bis auf den letzten habe ich alle zu Hause und finde die total gruselig, auf so einer „Blair Witch“-Ebene. Das ist einer der besten Gruselfilme, die je gemacht wurden, weil er mit den Urängsten spielt. Aber ich bin bei Dir, „Insidious“, „Conjuring“, das sind grandiose Gruselfilme. Wir differenzieren da. Es gibt Gruselfilme, und es gibt Horror- / Splatterkram. Und im Moment ist der Gruselfilm angesagt, was gut ist.

Rüdiger: Glaubt Ihr, einen Gruselfilm von heute hätte man einem Publikum von vor 40 Jahren antun können?

Rod: Als damals „Dracula“ rauskam, müssen wohl Leute im Kino ohnmächtig geworden sein, heute ist das Nachmittagsprogramm.

Pat: Das ist damals ziemlich hart gewesen, glaube ich, weil es einfach nicht zu den Sehgewohnheiten gepasst hat.

Rod: Die Filme, die heute ab 12 sind, wären damals wahrscheinlich verboten worden.

Pat: Die FSK ist auch lascher geworden. Es wird ja viel vom Index wieder runtergenommen.

Rüdiger: Habt Ihr persönlich einen Lieblingsregisseur?

Rod: Ich habe eine Zeit lang gesagt, ich würde mir wünschen, dass Tim Burton mal ein Video für uns dreht. Das ist natürlich utopisch, aber wenn irgendjemand die Welt, die wir gern kreieren würden, visualisieren könnte, dann ist das Tim Burton. Ansonsten Jack Arnold. Das ist so mein Lieblingsregisseur von damals.

Pat: Bei mir ist es Christopher Nolan. Den finde ich ziemlich geil. Als wir hierher gefahren sind, habe ich mir noch „Prestige“ mit Hugh Jackman und Christian Bale angeguckt. Geniale Sache.

Rüdiger: Dann gibt’s natürlich noch Rob Zombie, halb Musiker, halb Regisseur. Wäre sowas erstrebenswert für Euch?

Rod: Rob Zombie ist ein schwieriges Thema, weil ich ihn sehr sympathisch finde und er eine Legende ist. Ein wahrer Tausendsassa. Jeder träumt, glaube ich, davon, genau das zu machen, aber man muss ehrlich sagen: die letzten musikalischen Werke waren nicht gut, die Filme wie „Lords Of Salem“ waren auch nicht so richtig geil. Ich würde sagen: Rob, konzentrier Dich auf eine Sache.

Pat: Ja. Der macht zuviel.

Rod: Irgendwie wiederholt er sich in allem, was er macht. Aber jetzt kommt ja „31“ raus, die Bilder dazu sahen ganz gut aus. Da bin ich gespannt. Man wartet dann ja doch immer. Rob Zombie und Sheri Moon haben wir übrigens letztes Jahr auf dem M’era Luna getroffen, das war total Klasse. Da ist man dann halt eben Fanboy.

Chris CraniumRüdiger: Wie ist das bei Euch in der Band mit den Kostümen? Sind das feste Charaktere, die Ihr entwickelt? Gehen die alten Charaktere bei den Besetzungswechseln mit den ausscheidenden Membern mit?

Rod: Ja. Ich verstehe, was Bands wie KISS machen, weil die Masken eben Ikonen sind. Aber bei uns sind die Musiker nicht austauschbar, sondern sind Freunde und Bandkollegen. Wir sind eine demokratische Band, und jeder soll das sein, was er ist, und nicht jemand anderen darstellen.

Pat: Das ist ein ziemlich langer Prozess, so eine Figur zu entwickeln. Sie soll sich ja auf der Bühne mit den anderen Figuren gut zusammenfügen und nicht aus der Luft gegriffen sein.

Rod: Gerade Pat hat seinen Charakter komplett selbst entworfen.

Pat: Das war bei Chris (Chris Cranium, Bass; Amn. d. Red.) ja auch so.

Rod: Ja, der hat sich auch ziemlich reingehangen. Das ist natürlich ein Gewinn, wenn sich jemand so damit identifizieren kann. Du musst Dein Alter Ego ja auch leben. Aber die Besetzung muss jetzt bleiben, weil wir keine Ideen mehr haben. So. (lacht)

Rüdiger: Stichwort neue Ideen, wie sieht’s mit dem nächsten Album aus?

Rod: Ja, wir haben neue Songs geschrieben, und dann ist unser alter Bassist ausgestiegen. Das hat uns etwas zurückgeworfen, und wir fangen ganz in Ruhe nochmal an und stressen uns deswegen nicht. Der Weg soll so sein wie bei „Fear Itself“, das ist das Album, das uns am besten repräsentiert. Das ist unsere musikalische Identität, da ist alles drin, wofür wir stehen. In die Richtung wird es auch weitergehen.

Rüdiger: Ok, ich bin mit meinem Latein am Ende. Dann bleibt mir nur noch, Danke zu sagen und Euch noch ein schönes Festival zu wünschen!

Rod: Ja, danke auch! Hoffentlich sieht man sich mal auf einer unserer Shows wieder!

 

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