MartyriuM

von Malte H.

MartyriuM

Interviewreihe "Chilenischer Metal" - Teil 9

Im Zuge eines Specials zur Metalszene in Chile, dem langgezogenen Land an der Westküste Südamerikas, haben sich diverse Metaller bereiterklärt, einen Fragebogen zum Leben in Chile, der hiesigen Metalszene und den Einflüssen und Umständen im Land zu beantworten.
In den nächsten Wochen werden wir nach und nach die Fragebögen für euch veröffentlichen, damit ihr euch selbst einen Überblick über die unterschiedlichen Sichtweisen der Bands verschaffen könnt. Des Weiteren wird es einen zusammenfassenden Artikel über die Szene geben, den ihr euch dann zu Gemüte führen könnt.

Zum ersten Teil: Sacramento
Zum zweiten Teil: TimecodE
Zum dritten Teil:
Dorso
Zum vierten Teil: Folkheim
Zum fünften Teil: Entrospect
Zum sechsten Teil: Poema Arcanvs
Zum siebten Teil: Necrosis
Zum achten Teil: Lapsus Dei

Im neuten Teil und pünktlich zum neuen Jahr beantwortet Rodrigo Albert Vera P., Bassist und Vokalist der Thrasher von MARTYRIUM, unseren Fragebogen und ruft dazu auf, nicht zu vergessen, dass Chile nicht nur aus der Hauptstadt Santiago, sondern auch aus anderen Städten besteht. Was der Herr sonst noch mitzuteilen hat, könnt ihr im Folgenden lesen.

 

Malte H.: Bitte stelle dich zu Beginn kurz vor:

Rodrigo: Ich wurde geboren und lebe schon mein ganzes Leben in Antofagasta, im Norden Chiles, beinahe Englischlehrer, studierte ich Kunst und dann Musik in der Schule. Im Alter von 13 habe ich meine erste Band namens NEBULAH gegründet, die Old School Black Metal spielte. Bis heute spiele ich seit 13 Jahren Metal.

Malte H.: Wie kamst du zum Metal?

Rodrigo: Ich habe angefangen, mit meinem Vater Rock und Metal zu hören, er zeigte mir Bands wie LED ZEPPELIN, BLACK SABBATH und so weiter. Dann traf ich in der Schule ein paar Freunde, die Metal liebten und mir die verrücktesten und härtesten Bands zeigten, wovon viele sehr einflussreich auf das waren, was ich heutzutage mit meinen Bands spiele.

Malte H.: Was ist deiner Meinung nach die Faszination des Metal? Und was ist deine Inspiration, genau solche Musik zu spielen?

Rodrigo: Wenn wir über Metal sprechen, können wir damit verbinden, was immer wir wollen. Wenn wir von Metal sprechen, dann ist das nicht nur ein Stil, das ist ein Lebensgefühl, egal wo du bist oder was du denkst, es gibt immer einen Song, der beschreibt, was du tun möchtest.

Malte H.: Chile ist ein sehr katholisches Land. Inwiefern beeinflusst das deine Wahl, Metal zu spielen?

Rodrigo: Ich persönlich bin nicht sonderlich an Religion interessiert, aber wie du sagtest, sind viele Leute in Chile vom Katholizismus beeinflusst, doch heutzutage gibt es mehr Freiheiten, um zu sagen und zu denken, was man will. Wichtig ist, dabei stets respektvoll zu sein.

Malte H.: Ich würde gerne wissen, wie Metal nach Chile kam. Gab es eine bestimmte Location oder eine bestimmte Band? Oder war es vielmehr so, dass irgendwer in Santiago angefangen hat, es zu spielen und von da verbreitete es sich wie eine Krankheit?

Rodrigo: In den 80ern hat die Diktatur die Redefreiheit und das Wissen der Leute eingeschränkt. Es war sehr hart, Musik zu bekommen, insbesondere Metal. Wenn du einen Freund hattest, der in die USA oder nach Europa gereist ist, dann hast du den gefragt, ob er dir dein Lieblingsalbum mitbringt. Tapes waren der einzige Weg um Musik von Bands aus allen Teilen der Welt zu erlangen, die meisten davon kamen aus Brasilien oder anderen südamerikanischen Ländern. Zu dieser Zeit fingen chilenische Bands an, ihre eigene Musik zu erschaffen. Bands wie PENTAGRAM, TORTURER oder TOTTENKORPS begannen ihre ersten Shows zu spielen, die meisten davon in Schulen oder in der mythischen Location “Manuel Plaza”. Mit Beginn der Demokratie in unserem Land wurde alles besser und leichter.

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Malte H.: Viele der Metal-Bands aus Chile scheinen sehr dunkel und extrem zu sein. In welcher Hinsicht haben die geographischen, historischen (z.B. die Diktatur von Pinochet in den 70ern und 80ern) und kulturellen Umstände in Chile Einfluss auf den chilenischen Metal-Stil genommen?

Rodrigo: Wie ich vorher schon sagte, gab uns die Demokratie die Möglichkeit, neue Bands von überall aus der Welt zu suchen und zu finden, auch die Medien wurden quasi täglich wichtiger. Auf der anderen Seite gab es eine verärgerte Jugend, die nichts anderes wollte, als ihre Wut auf die Regierung zu zeigen. Die meisten Bands versuchen sich weiterzuentwickeln, nicht wie … zu sein oder wie … zu klingen, sondern eine eigene Identität zu finden. Chile ist, verglichen mit anderen südamerikanischen Ländern, sehr klein, unsere Gesamtbevölkerung ist zum Beispiel vergleichbar mit der einer Stadt in Brasilien, was dafür sorgt, dass sich Informationen sehr schnell verbreiten. Wir versuchen uns gegenseitig zu unterstützen, egal welche Sorte Metal jemand spielt.

Malte H.: Wie ist die Infrastruktur der chilenischen Metalszene? Ist sie gut organisiert? Wie groß ist die Szene und wie sieht es mit Möglichkeiten aus, live auf Konzerten oder Festivals zu spielen?

Rodrigo: Zum Glück wächst Chile sehr schnell und es gibt große Locations, wo man spielen kann. Metal ist noch immer eine Underground-Szene, die Polizei beendet Parties und Konzerte immer recht schnell, aber wir bleiben stark, versuchen so viel wie möglich zu spielen, in kleinen Räumlichkeiten, egal. Chile ist ein langes Land und die Unterschiede zwischen den Städten verhalten sich relativ zur Einwohnerzahl. Je größer die Stadt, desto besser das Konzert, ich weiß nicht, wie ich es besser erklären soll.

Malte H.: Gibt es außer Australis Records noch andere große Labels in Chile? Und wie schwer ist es für eine chilenische Metalband, auf einem ausländischen Label unter Vertrag genommen zu werden?

Rodrigo: Vor ein paar Jahren noch war es leicht, andere Labels zu nennen. Zum Beispiel Negative oder Rawforce präsentierten jeder Zeit neue Bands und Alben, aber mittlerweile ist Australis das einzige Label (für mich), das noch wirklich was für die Bands tut, bei der Produktion hilft und viele andere Dinge. Es ist sehr schwer, als Band zu wachsen, ohne genug Geld für Proben oder die Aufnahmen eines Albums zu haben, es gibt nicht genug Profis, die mit den Bands arbeiten, also muss dieser Aufwand von den Bands erledigt werden. Die meisten alten, chilenischen Bands sind auf einem Label und die Second Editions werden meist von Labels aus anderen Ländern neu aufgelegt. CRIMINAL, die von Anton [Reisenegger, Anm. d. Verf.] (PENTAGRAM(CHILE)) angeführt werden, oder POEMA ARCANVS sind bekannte Bands, die es geschafft haben, von einem ausländischen Label gesigned zu werden.

Malte H.: Was sind, deiner Meinung nach, die typischen Trademarks chilenischer Metal-Bands?

Rodrigo: Aggression, Geschwindigkeit, Ernsthaftigkeit, Kompromisse, Motivation.

Malte H.: Welche sind die einflussreichsten chilenischen Metal-Bands?

Rodrigo: Für mich sind das CRIMINAL, TOTTENKORPS, TORTURER und SADISM.

Malte H.: Ich habe gehört, dass die chilenischen Metal-Fans die Verrücktesten in ganz Südamerika sein sollen. Kannst du erklären, wieso das so ist?

Rodrigo: Der Grund, warum chilenische Metalheads so energiegeladen sind, ist, dass wir die Musik als unser Ding MartyriuM - Twisted Fatebegreifen und wir haben nicht jedes Wochenende Konzerte, es braucht Monate an mentaler und finanzieller Vorbereitung, um auf eine Show zu gehen. Die meisten Shows sind in Santiago und wenn du in einer anderen Region lebst, dann ist es sehr schwer (wenn du nicht hart arbeitest oder eine hohe Lebensqualität besitzt), dass Geld zu bekommen, um reisen zu können. Von meiner Stadt aus sind es 18 Stunden mit dem Bus bis nach Santiago und zu fliegen ist viel zu teuer! Also genießt man jedes Konzert, auf das man gehen kann, so gut es geht, da man nicht weiß, wie oder wann man es schafft, die Lieblingsband live zu sehen.

Malte H.: Werden Metalheads in der chilenischen Gesellschaft akzeptiert?

Rodrigo: Die meisten Metalheads werden von der Gesellschaft akzeptiert, es wurde mit den Jahren immer besser.

Malte H.: Wie ist deine Meinung zur südamerikanischen Metalszene im Allgemeinen?

Rodrigo: Sie wird jederzeit größer und größer! Beeinflusst von all unseren Ursprüngen, haben wir die Sache gut genug gemacht, unterstützen alle Bands aus unterschiedlichen Genres, Ländern, etc..

Malte H.: Wie ist das Leben in Chile heutzutage? Im Human Development Index (HDI) der UN hat Chile einen guten Rank, den besten in Südamerika. Wie hat sich die Szene in den letzten Jahren verändert?

Rodrigo: Es gibt immer noch eine soziale Lücke. Wenn du Geld hast, kannst du unglaubliche Dinge anstellen, aber weißt du, es ist schwierig, seine Ziele zu erreichen. Für die Welt sieht Chile ziemlich gut aus, aber obwohl es nicht schlecht ist, hier zu leben, gibt es für uns als Gesellschaft noch eine Menge zu tun. Bspw. mehr Möglichkeiten und Gleichheit schaffen, um ein Beispiel zu nennen.

Malte H.: Fühl dich frei, den folgenden Platz dafür zu nutzen, alles über Chile, Metal und sonstiges Zeug zu schreiben, was durch meine Fragen noch nicht beantwortet wurde. ;) Außerdem danke ich dir für die Zeit und die Informationen, die du mit mir geteilt hast, um einen Artikel über die Metalszene deines Landes schreiben zu können! Cheers!

Rodrigo: Vielen Dank für die Möglichkeit, über das Land zu sprechen, das ich liebe. Wir brauchen eine mentale Evolution, SANTIAGO IST NICHT CHILE, andere Städte zeigen auch, aus was für einem Holz sie geschnitzt sind… so wie die Leute nach Bands aus anderen Ländern suchen, sollten sie anfangen, nach chilenischem Metal zu schauen. Ihr werdet es nicht bereuen!

 

Zum Review von "Twisted Fate"

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