Dorso

von Malte H.

Dorso

Interviewreihe "Chilenischer Metal" - Teil 3

Im Zuge eines Specials zur Metalszene in Chile, dem langgezogenen Land an der Westküste Südamerikas, haben sich diverse Metaller bereiterklärt, einen Fragebogen zum Leben in Chile, der hiesigen Metalszene und den Einflüssen und Umständen im Land zu beantworten.
In den nächsten Wochen werden wir nach und nach die Fragebögen für euch veröffentlichen, damit ihr euch selbst einen Überblick über die unterschiedlichen Sichtweisen der Bands verschaffen könnt. Des Weiteren wird es einen zusammenfassenden Artikel über die Szene geben, den ihr euch dann zu Gemüte führen könnt.

Zum ersten Teil: Sacramento
Zum zweiten Teil: TimecodE

Im dritten Teil unserer Interview-Reihe zum chilenischen Metal hat sich Rodrigo "Pera" Cuadra von DORSO, einer der ältesten Metal-Bands in Chile, die Zeit genommen, um unseren Fragebogen zu beantworten. Aufgrund dessen, dass Pera schon so lange in der Szene aktiv ist, könnt ihr hier einiges über die Anfangszeit der chilenischen Metal-Szene erfahren.

 

Malte H.: Bitte stelle dich zu Beginn kurz vor:

Pera: Ich bin Rodrigo Cuadra, aber jeder nennt mich Pera Cuadra, meine Freunde, Familie, etc.
Ich spiele Bass, Keyboard und singe seit 1984 in der Band DORSO.

Malte H.: Wie kamst du zum Metal?

Pera: Das war zu Beginn der 80er. Wir waren mehr im klassischen und progressiven Rock unterwegs und in der Schule traf ich ein paar Leute, die dieselben Interessen hatten. Ich mochte solch hartes Zeug wie DEEP PURPLE, KISS und BLACK SABBATH schon immer.
DORSO startete 1983 zuerst als Progressive Rock Band, ziemlich amateurhaft, und wir klangen schon immer sehr heavy… 1984 hatte ich dann eine einschneidende Begegnung mit VENOM, METALLICA, MERCYFUL FATE und IRON MAIDEN - einer der Bands, die ich bereits vorher schon sehr viel gehört habe. Von da an war es so, dass DORSO nach einigen Besetzungswechseln immer härter wurde, thrashiger und Teil einer wachsenden Metalszene in Chile.

Malte H.: Was ist deiner Meinung nach die Faszination des Metal? Und was ist deine Inspiration, genau solche Musik zu spielen?

Pera: Es ist diese besondere Energie, die durch deinen Körper fließt und die du fühlen kannst. Diese Energie, die es dir sowohl als Musiker wie auch als Zuhörer erlaubt, dich mit anderen zu verbinden. Zugegeben, viele Musikarten haben diese Eigenschaft, doch die Energie, die Metal erzeugt, ist sehr stark und kann zudem sehr tiefgreifend sein. Sie ist etwas besonderes und es liegt an dir, wie du sie nutzt oder kontrollierst. Im Falle von DORSO ist es die Kraft von Rock / Metal mit progressiven Einflüssen.
Ich denke, dass Metal sehr progressiv ist oder sein muss, es ist ein großer Bereich für Experimente, sogar in seiner primitivsten oder konventionellsten Form. Zudem lieben wir den „Spirit of Metal“, wie er darum kämpft, als musikalische Ausdrucksform zu überleben. Hier in Chile mussten wir Pinochets Diktatur überleben, um eine Metalszene aufziehen zu können. Es war diese besondere Energie oder dieser Spirit, den Metal im Vergleich zu anderen Musikstilen oder Rock-Stilen hat, der uns dabei half, Metal bis zum heutigen Tage zu erschaffen.

Malte H.: Chile ist ein sehr katholisches Land. Inwiefern beeinflusst das deine Wahl, Metal zu spielen?

Pera: Das stimmt, war aber zu keiner Zeit ein Problem für mich. Mein Vater war Freimauerer und meine Mutter Zeugin Jehovas, ich wuchs also zwischen beiden Einflüssen auf, was für mich sehr interessant war, da meine Mutter versuchte, mich zur Religion zu bewegen, die Bibel zu lesen, mir Geschichten erzählte, während mein Vater mir esoterische Dinge zeigte. Seit meiner jüngsten Jugend wusste ich also, dass mit dem Christentum und der Religion irgendwas nicht stimmte.
Zu Beginn wurden wir natürlich als satanische Rocker gesehen (was auch heute noch in einigen extrem evangelischen Gruppierungen so ist), obwohl DORSO nicht so extrem oder satanisch war. Wir fanden das gut, wir liebten es, diesem ganzen Scheiß auf die Nerven zu gehen.

Pera Cuadra

Malte H.: Ich würde gerne wissen, wie Metal nach Chile kam. Gab es eine bestimmte Location oder eine bestimmte Band? Oder war es vielmehr so, dass irgendwer in Santiago angefangen hat, es zu spielen und von da verbreitete es sich wie eine Krankheit?

Pera: Oh ja, das war etwas sehr besonderes! Wir hatten hier seit den 70ern Heavy und Hard Rock Bands, aber es gab keine Szene oder eine Bewegung oder so. Es dauerte bis zu den frühen 80ern, als plötzlich ein Shop namens "Rockshop" auftauchte, der Chile eine wachsende Metalszene präsentierte… T-Shirts, Vinyls, Magazine, Fanzines – einige davon wurden von meinem Bruder Anton Reisseneger geschrieben, der später PENTAGRAMs Leadsinger und Gründer wurde. So kam hartes Zeug wie Speed, Thrash und Black Metal zu uns. Dank dieser Fanzines war Tape Trading der nächste Schritt. Der Rest ist Geschichte.

Malte H.: Viele der Metal-Bands aus Chile scheinen sehr dunkel und extrem zu sein. In welcher Hinsicht haben die geographischen, historischen (z.B. die Diktatur von Pinochet in den 70ern und 80ern) und kulturellen Umstände in Chile Einfluss auf den chilenischen Metal-Stil genommen?

Pera: Nun, zu Anfang waren wir alle von dem Zeug beeinflusst, das aus anderen Ländern kam, aber mittlerweile können nach all den Jahren geographische Tendenzen erkannt werden.
Unser Norden ist sehr heiß und wüstenhaft und wie ich das sehe haben die viele Death Metal, aber auch Thrash und sogar Gothic Bands. Ich lebe im Zentrum Chiles, das ein mediterranes Klima hat. Hier in Santiago haben wir eine große Vielfalt an Stilen, von Pop Metal bis hin zum extremsten Black Metal. Geht man weiter nach Süden, so wird es immer kälter, die Landschaft kann leicht mit der in Norwegen oder generell Skandinavien verglichen werden. Hier findet man viele Black Metal Bands, aber auch satanischen Death Metal und melodische Doom Metal Bands. Hardcore und experimentellere Tendenzen verteilen sich ohne Berücksichtigung der geographischen Umstände über das ganze Land.
Und um auf Pinochets Diktatur zu sprechen zu kommen: Viele von uns waren gegen ihn, es gab jedoch auch viele Metalheads, die ihn unterstützt haben. Das Wichtigste hieran ist, dass unter seiner finsteren Diktatur jeder, der etwas mit Metal zu tun hatte, vor der unterdrückerischen Polizei fliehen musste. Metalheads wurden als Staatsfeinde angesehen.

Malte H.: Wie ist die Infrastruktur der chilenischen Metalszene? Ist sie gut organisiert? Wie groß ist die Szene und wie sieht es mit Möglichkeiten aus, live auf Konzerten oder Festivals zu spielen?

Pera: Heutzutage denke ich schon, dass sie gut organisiert ist, ja. Wir haben viele Metalkonzerte, die sich über das ganze Jahr verteilen, das Metal Fest, wo ausländische Major-Bands zusammen mit den besten Bands aus der chilenischen Szene spielen, viele Underground-Gigs in verschiedenen Metal-Bars und Pubs, wir haben viele Webzines, einige gedruckte Magazine, einiges an Old School Zeug, einen großen Pool an Bands und CDs und nun kommt auch Vinyl langsam zurück, was großartig ist.

Malte H.: Gibt es außer Australis Records noch andere große Labels in Chile? Und wie schwer ist es für eine chilenische Metalband, auf einem ausländischen Label unter Vertrag genommen zu werden?Dorso

Pera: Es gibt viele selbstständige Labels und Produktionen, so müssen wir es hier machen, da es keine wirklich großen Labels gibt. Einige Bands haben Deals mit internationalen Labels. Ich muss zugeben, dass wir uns nie groß um eine internationale Karriere gekümmert haben, unsere Demo wurde in den frühen 87ern von einigen ausländischen Zines sehr gut aufgenommen, aber wir haben alles hier gemacht. Wie auch immer, ich denke, mittlerweile ist es für junge Bands nicht mehr so schwer, etwas aufzunehmen und ihre Musik zu präsentieren.

Malte H.: Was sind, deiner Meinung nach, die typischen Trademarks chilenischer Metal-Bands?

Pera: Hmmm… das ist schwer zu sagen, da wir alle Tendenzen hier haben, vielleicht erkennen Leute von außerhalb Chiles eher ein Markenzeichen des chilenischen Metals, vielleicht den Sound, aber ich bin mir nicht sicher.

Malte H.: Welche sind die einflussreichsten chilenischen Metal-Bands?

Pera: PENTAGRAM, DORSO, NECROSIS, MASSACRE, ATOMIC AGRESSOR, WARPATH, BELIAL, DEATH YELL, UNDERCROFT, EXECRATOR… das sind sie, denke ich.

Malte H.: Ich habe gehört, dass die chilenischen Metal-Fans die Verrücktesten in ganz Südamerika sein sollen. Kannst du erklären, wieso das so ist?

Pera: Jajajajajaja, nun, ich bin mir nicht ganz sicher, hier gibt es viele verrückte, aber auch viele ruhige Leute, eine Vielzahl an Personalitäten, aber jeder ist sehr enthusiastisch, was Konzerte und Besuche von außerhalb angeht. Es ist egal, ob es IRON MAIDEN, GORGOROTH oder MORBID ANGEL ist, wir genießen jedes Konzert in vollen Zügen, also denke ich, dass die Bands nach ihren Gigs hier sehr zufrieden in ihre Heimat zurückkehren und sich freuen, wieder nach Chile zu kommen.

Malte H.: Werden Metalheads in der chilenischen Gesellschaft akzeptiert?

Pera: Mehr als zuvor, man kann sie überall finden, in Banken, im TV, in Geschäften, im Radio, in technischen Berufen, Geschäftsmänner, yeah, man muss uns einfach akzeptieren.

Malte H.: Wie ist deine Meinung zur südamerikanischen Metalszene im Allgemeinen?

Pera: Ich mag sie, sie ist alt, hat Tradition und wächst unaufhaltsam. Viele Jahre sind vergangen, fast 30, und trotzdem wirkt sie jung und hat noch viele Dinge zu sagen, aber wir müssen immer weiter dran arbeiten.

Malte H.: Wie ist das Leben in Chile heutzutage? Im Human Development Index (HDI) der UN hat Chile einen guten Rank, den besten in Südamerika. Wie hat sich die Szene in den letzten Jahren verändert?

Pera: Yeah, es ist ein nettes, junges Land! Mit einigen sozialen Problemen, zugegeben, auch die Justiz braucht Verbesserungen, es gibt hier gute, aber auch schlechte Dinge. Es ist ein sehr schönes Land, mit gutem Essen und gutem Wein. Ich denke, mittlerweile sind es gute Zeiten für Metalheads hier in Chile. Trotzdem ist es sehr, sehr schwer, nur vom Metal zu leben, also brauchen wir alle noch Jobs nebenbei, die unseren Lebensunterhalt sicher.

Malte H.: Fühl dich frei, den folgenden Platz dafür zu nutzen, alles über Chile, Metal und sonstiges Zeug zu schreiben, was durch meine Fragen noch nicht beantwortet wurde. ;) Außerdem danke ich dir für die Zeit und die Informationen, die du mit mir geteilt hast, um meinen Artikel über die Metalszene deines Landes schreiben zu können! Cheers!

Pera: Ich möchte dir einfach nur für das Interview danken. Hört euch unsere Arbeit an, kontaktiert uns auf www.dorso.cl und haltet die Augen auf, bald gibt es neue News von der Band. Man sieht sich.

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