Criminal

von Malte H.

Criminal

Am 16. Mai 2014 gastierten CRIMINAL im Zuge des zweiten Boiled in Blood in Emden. Die Band aus Chile ist schon seit zwei Jahrzehnten in der Metalszene aktiv und insbesondere Sänger und Gitarrist Anton Reisenegger war seiner Zeit eine der treibenden Kräfte, dass sich Metal als Musikrichtung in Chile zu entwickeln begann. Grund genug für mich, kurz vor dem Auftritt der Band ein Interview mit Anton zu führen.

 

Malte H.: Zunächst einmal: Wie ist so dein erster Eindruck von Ostfriesland?

Anton: Ich finds cool. Also, die Location ist super und es scheint ja auch, dass die Leute gut dabei sind und kommen und die Bands angucken und abfeiern, also, ja, es ist cool!

Malte H.: Ihr habt mit CRIMINAL ja jetzt auch schon einige größere Festivals gespielt... Bloodstock, Summer Breeze, Wacken... Trotzdem geltet ihr eher so als Underground-Geheimtipp... woran liegt das deiner Meinung nach?

Anton: Ich bin mir nicht ganz sicher, das sind einige Sachen, die da zusammenkommen irgendwie... die ganze Musikindustrie steckt ja bekanntlich in einer Krise und es werden einige Sachen priorisiert... und wir sind keine davon. [lacht] Es ist halt so. Aber wir fühlen uns im Underground eigentlich auch ganz wohl und das ist eigentlich auch kein Problem. Es kommt alles auf die Erwartungen drauf an, glaube ich, und wir haben schon seit einigen Jahren gemerkt, dass wir nicht die nächsten Slayer werden. Also ist das cool, wenn die Leute zu unseren Konzerten kommen und die Platten kaufen oder sich auch runterladen, was auch immer heute so normal ist... wenn die Leute es cool finden, finden wir das auch cool.

Malte H.: Wie war das, du bist ja 2001 zusammen mit eurem damaligen Gitarristen Rodrigo nach Europa gezogen. Also aus Chile weg. Wie war denn da der Umstieg und wie hat das CRIMINAL an sich vorangegebracht? Denn in Chile oder vielmehr in Südamerika seid ihr ja eine größere Nummer.

Anton: Das war halt ein neues Kapitel. Es fing dort schon an mit dem Zusammenbruch der Major Label und so weiter und wir waren ja auf einem Major Label, auf BMG. Wir haben zwei Platten gemacht, die sich super verkauft haben... von jeder Platte alleine 10.000 Einheiten in Chile... aber plötzlich hieß es "Jungs, wir haben keine Kohle für die Produktion." oder was auch immer und wir dachten nur so "Hö? Was soll das?". Wir kamen gerade zurück von unserer ersten Amerika-Tour und dachten, jetzt geht es erst richtig los und plötzlich stoppt alles. Das war natürlich ziemlich frustrierend und ich denke, viele Bands wären an sowas zerbrochen. Aber wir haben uns zusammengerauft und ich bin erstmal nach Europa gekommen, ein paar Monate danach dann auch Rodrigo und wir haben dann halt von Neuem angefangen. Aber es war sehr schwierig, denn es geht ja nicht nur um die Band, man muss ja auch leben. Man muss arbeiten und wohnen, einen Bekanntenkreis haben und so weiter. Das war halt sehr stressig und ich glaube, das schlägt sich dann auch in dem "No Gods No Masters" Album wieder... das ist sehr chaotisch, sehr brutal... es spiegelt sehr gut diese Zeit wider, in der wir auf der Suche nach was Neuem waren.

Criminal

Malte H.: Verfolgst du denn noch die chilenische Szene, auch wenn du jetzt hier in Europa unterwegs bist?

Anton: Auf jeden Fall. Ich mache eine Radio-Show, die ich daheim aufnehme und die in Chile auf einem ziemlich großen Sender ausgestrahlt wird - dem wichtigsten Rocksender. Dadurch habe ich sehr viel Kontakt zur chilenischen Szene. Ich kriege immer wieder neue Emails von Bands, die dort gespielt werden wollen und das mache ich auch. In jeder Show spiele ich mindestens eine chilenische Band. Da gibt es wirklich sehr, sehr viel Talent, aber es ist jetzt schwieriger denn je, auf sich aufmerksam zu machen, ohne irgendwelche billigen Gimmicks. Einfach nur durch Talent auf sich aufmerksam zu machen geht leider nicht mehr. Es gibt auch nicht mehr den Filter der Plattenfirmen, da Plattenfirmen heute immer weniger relevant sind.. und dann müssen die Leute halt sehen, dass sie ihre Netzwerke ausnutzen und aufbauen. Ich finds aber scheisse. Ich würd am liebsten einfach nur Musiker sein, ich will nicht auch noch Graphikdesigner, Marketing Manager und Community Manager und dies und das sein... es ist wie es ist und das ist auch eigentlich egal. [lacht]

Malte H.: Ich habe eine kleine Interviewreihe mit chilenischen Bands gemacht, um herauszufinden, wie der Metal eigentlich zu Zeiten der Diktatur nach Chile kam. Und da fiel immer wieder dein Name. Deswegen bin ich froh, dass wir dieses Interview führen können und ich wollte dich mal fragen, wie du damals zum Metal gekommen bist und wie du diese Entwicklung erlebt hast?

Anton: Naja, zum Metal bin ich ganz profan durch meine Brüder gekommen, die halt Hard Rock wie Queen, Status Quo, U.F.O. und solche Sachen gehört haben. Das gefiel mir halt und ein Klassenkamerad von mir hatte ungefähr die gleichen Interessen und wir haben dann die Plattenläden nach irgendwelchen Platten von Iron Maiden und so weiter durchsucht und so langsam sind wir dann auch in den Underground gekommen. Ich bin 83 mit meinen Eltern nach Deutschland gekommen und da habe ich mir Magazine und so weiter gekauft und habe in den Kleinanzeigen Adressen gefunden und angefangen zum Beispiel mit den Jungs von Schock Power zu korrespondieren und das wurde dann immer mehr. Da kamen dann Bands, Fanzines, Labels und dies und das dazu, alles mögliche. Diese Zeit war auch global sehr wichtig. Vor dem Internet war das das erste echte Netzwerk, das da existierte. In Chile war das sicher eine Pionierarbeit und... was soll ich sagen? Das hat auch seine Zeit gehabt und dieser Zyklus ist dann auch irgendwann abgelaufen, aber es war wichtig. Wenn du siehst, was Chile heute für eine Metalszene hat, obwohl die lokalen Bands einen schweren Stand haben... aber das Bands wie Motörhead und Iron Maiden und so weiter Live-DVDs in Chile machen...

Malte H.: Und dann auch vor 80.000 Leuten oder so.

Anton: Genau, und das kommt nicht von ungefähr. Chile hat eine sehr gesunde Geschichte, was Metal angeht, meine ich.

Malte H.: Man sagt ja auch immer, das die chilenischen Fans so mit die Verrücktesten sind.

Anton: Kann gut sein, kann gut sein. Obwohl ich befürchte, dass sie jetzt irgendwann verwöhnter werden. Denn wenn du eine Band schon 3, 4, 5 Mal gesehen hast, dann ist es nicht mehr das Gleiche wie das erste Mal. Und als Kreator als erste international tourende Band 92 nach Chile kamen, da war das dann schon ein Event. [lacht]

Malte H.: Was denkst du, woran es liegt, dass gerade die chilenischen Bands so Probleme haben, sich in der Anton Reiseneggereigenen Szene im Land durchzusetzen. Man hört dann, dass die größeren, internationalen Bands vor mehreren 1000 Leuten spielen und die kleinen Bands aus Chile eher nur vor wenigen Leuten?

Anton: Das ist einfach eine Übersättigung. Klar, du hast da ein Überangebot was internationale Bands angeht... es ist krass. Ich bin mal dort gewesen und in einer Woche spielt Yngwie Malmsteen und irgendeine Metalcore-Band und Chris Cornell und bla... da spielt immer irgendwas internationales. Wie motivierst du dann die Leute, dass sie sich eine chilenische Band angucken gehen? Es gibt jetzt eine Alternative, dass z.B. im Radio gesetzlich festgelegt 20% chilenische Musik gespielt werden soll... kann vielleicht was helfen, aber...

Malte H.: Ob das jetzt unbedingt dann Metal sein wird?

Anton: Ja, genau. Aber, ich weiß nicht... wie ich immer sagen: Es ist halt, wie es ist, da kann man nichts dran machen. Aber auf der anderen Seite bekommen chilenische Bands auch Unterstützung vom Staat... Bands wie Nuclear oder Mar de Grises haben mit staatlichen Geldern ihre Flüge nach Europa finanzieren können, um hier überhaupt touren zu können. Das ist auch nicht schlecht.

Malte H.: Du hast ja auch viele Szene in verschiedenen Ländern miterlebt... du hast in Chile gelebt, in Deutschland... hast du eigentlich deutsche Vorfahren?

Anton: Ja, ja. [lacht]

Malte H.: Ah, das erklärt auch, wieso du '83 in Deutschland warst, oder?

Anton: Nee, das war eher so ein Geschäftstrip von meinem Vater und der hat mich und meine Mutter quasi als Urlaub dann mitgenommen, weißt du?

Malte H.: Du kannst aber ja auch sehr gut deutsch.

Anton: Ja, ich war auch auf einer deutschen Schule. [lacht]

Malte H.: Du hast aber ja auch in Großbritannien gelebt...

Anton: Ja, genau. Als ich 2001 ausgewandert bin, war ich erstmal 2 Jahre in Großbritannien, dann 5 Jahre in Deutschland und jetzt seit ca. 6 1/2 Jahren in Spanien.

Malte H.: Da hast du dann ja auch viel von den verschiedenen Szenen mitbekommen. Was sind denn deiner Meinung nach die Unterschiede? Merkt man da große Unterschiede?

Anton: Die Sache ist die, die ganze Szene generell hat sich ja auch sehr verändert. Denn als ich 2001 nach England kam, da war Nu Metal noch 'ne große Nummer, da sagtest du: "Ich hör Kreator und Exodus." - da wurdest du für ausgelacht. Wirklich. Jetzt sind sie alle wieder Old School... plötzlich ist es wieder cool, aber damals war es überhaupt nicht cool, weißt du? In Deutschland war es ja immer etwas anders, da ticken die Uhren etwas anders und das habe ich auch bemerkt. Naja, in Deutschland hatte ich besonders intensiv Kontakt zur Szene, weil ich ja bei Metalblade gearbeitet habe, auf viele Festivals gegangen bin und so... da habe ich gemerkt, obwohl die Popularität schwankt, war immer ein Metalpublikum da. Der Kuttenträger, der hat auch in den 90ern seine Kutte getragen, weißt du? [lacht] Aber das jetzt irgendwelche Kids wie gestern in München... da haben wir mit einer Band gespielt, die das Konzert selbst organisiert hat und alles und die waren wahrscheinlich erst zwischen 18 und 20 oder so, mit Sadus T-Shirt und Atheist T-Shirt... das ist cool. Das ist cool, dass die Kids irgendwie in der Vergangenheit die coolen Sachen suchen. Und das erklärt auch teilweise den Revival von PENTAGRAM. Weißt du, wir haben in Ami-Land gespielt und da waren irgendwelche Kids, die waren vielleicht 25 oder so... naja, Kids... [lacht]... junge Männer. Aber die fanden das cool und die kannten das alles aus Youtube irgendwie.

Criminal

Malte H.: PENTAGRAM ist ja eh so eine Legende. Ich glaube viele Leute sind dir auch sehr dankbar, dass ihr das wieder zurück auf die Bühne geholt habt.

Anton: Das freut mich, denn es gab am Anfang sehr viel Kritik.

Malte H.: Tatsächlich?

Anton: Ja, komischerweise von unseren härtesten Fans kam die Kritik. "Warum macht ihr das? Nein, bitte nicht. Lasst das bitte so wie es ist!" und so. Weißt du, das ist dieses: "Diese Band gehört mir und ich möchte sie mit niemandem mehr teilen.", weißt du?

Malte H.: Um diesen Legendenstatus bloss nicht irgendwie...

Anton: Zu... zu beflecken. [lacht] Ja, ja... das war so. Aber ich glaube, mit dem Album, das wir gemacht haben, haben wir den Leuten gezeigt: Leute, wenn jemand weiß, wie diese Band zu klingen hat, dann sind wir das. [lacht]

Malte H.: CRIMINAL wird ja auch immer wieder in diese Old School Ecke gedrängt, obwohl ihr viele moderne Einflüsse habt.

Anton: Ja, aber das Lustige ist: Modern... du sagst jetzt modern. Aber das ist etwas, was Anfang der 90er modern war... das ist jetzt vor 20 Jahren gewesen. Du hörst ein Machine Head-Riff und immernoch sagst du "Das ist modern!". [lacht]

Malte H.: Ja... okay... [lacht] Aber es ist wahrscheinlich dieser Mix, der moderner klingen mag. Aber was ich auch häufig gelesen habe ist, dass ihr nach wie vor immernoch mit Sepultura verglichen werdet, obwohl ihr euch da im Laufe der Jahre immer mehr von abgenabelt habt. Geht dir das manchmal auf den Keks?

Anton: Nee, eigentlich nicht. Das ist ganz normal, dass die Leute irgendwelche Referenzpunkte suchen. Es gibt so viele Bands. Und vor allem die Journalisten, die müssen irgendwo ja den Leuten erklären, wie die Band klingt. Und ich glaube, dass ist gar nicht so weit hergeholt. Wir klingen nicht genau so wie Sepultura, aber wir teilen zweifelsohne viele Einflüsse mit ihnen. Das ist cool, das ist kein Problem. Und außerdem ist es ja ganz normal: Eine Band aus Südamerika... was liegt näher?

Malte H.: Mal angenommen, es würde jemand zu dir kommen und sagen "Ich hab noch nie was von CRIMINAL gehört und würde gerne mal reinhören."... welches Album würdest du da rauspicken? Wo du sagst: Das ist das Album, wo wir alles auf einen Punkt gebracht haben. Gibt es überhaupt so ein Album?

Anton: Hmm... vielleicht "Sicario"? Die Sache ist die: Die ersten zwei Alben liegen mir ganz nahe am Herzen, aber ich Cover: Criminal - Sicariobin bei beiden nicht so ganz zufrieden mit der Produktion. Aber von den Songs her wären das wahrscheinlich meine definierenden Momente. Aber "Sicario" kommt dem auch schon verdammt nahe.

Malte H.: Das war auch das Album nach "No Gods, No Masters", oder?

Anton: Genau. Da haben wir experimentiert und dann haben wir gesagt, jetzt machen wir das, was wir sind. [lacht]

Malte H.: Ich habe auch gelesen, dass nach dieser Tour erstmal Schicht im Schacht mit Live-Auftritten ist und ihr wieder ins Studio geht...

Anton: Ja, ja, das müssen wir ja langsam. Die letzte Platte ist jetzt auch schon wieder fast drei Jahre her. Und klar, wir haben auch alle noch andere Projekte und so weiter und wir machen jetzt eine Tour in Chile für 20 Jahre "Victimized", unserem Debüt, wo wir das Album auch komplett spielen werden und so weiter und so fort. Aber klar, irgendwann muss neue Musik her und das dauert jetzt schon wieder etwas zu lange. Wir waren in einem schönen 2-Jahres-Rhythmus und der ist nun wieder durcheinandergekommen. [lacht] Aber naja, die ersten Ideen sind schon da, wir schreiben schon Songs und da ist einiges schon zusammengekommen. Im Sommer werden wir uns mal in England im Studio treffen und etwas intensiver dran arbeiten.

Malte H.: Also können wir so über den Daumen gepeilt 2015 mit einem neuen CRIMINAL-Album rechnen?

Anton: Ja, allerspätestens. Wenns gut geht sogar schon dieses Jahr, aber vielleicht auch nächstes Jahr.

Malte H.: Unterm Weihnachtsbaum.

Anton: Ja, hoffentlich. [lacht] Je schneller, desto besser. Ich werde nicht jünger, weißt du? [lacht wieder]

Malte H.: Eine abschließende Frage noch: Du bist jetzt mit PENTAGRAM wieder aktiv... du hast CRIMINAL... du bist bei dem Allstar-Projekt LOCK UP aktiv... wie bringst du das alles unter einen Hut?

Anton: Das ist gar nicht so schwierig, denn keine von diesen Bands tourt ausgiebig. Weißt du, dass sind immer so zwei Wochen, mal hier, mal da, Festivals und so. Das ist eigentlich ganz einfach zu machen. Bisher gabs auch kaum Konflikte zwischen verschiedenen Bands. Also, nach dem Motto: "Was musst du nun priorisieren?". Ich muss immer das priorisieren, was mir am meisten Geld gibt, denn ich muss auch leben, weißt du? [lacht] Aber das ist bisher kein Problem gewesen und ich sehe auch nicht, dass es eins wird. LOCK UP, da könnte man ja meinen, dass es vielleicht etwas zeitintensiver wäre, aber sowohl Tompa wie auch der Shane, die arbeiten jetzt mit ihren Bands an neuen Alben und werden wieder anfangen zu touren... und ja, das ist immer die Philosophie gewesen: Wenn wir Zeit haben und sich was ergibt, dann machen wir das.

Malte H.: Also eher so ein Nebenprojekt zum Spaß haben?

Anton: Ja, genau, das war immer ein Nebenprojekt zum Spaß haben. So war es immer gemeint und so wird es auch bleiben, glaube ich.

Malte H.: Ja, super. Dann bedanke ich mich bei dir für das interessante Interview und das du dir die Zeit genommen hast.

Anton: Kein Problem. Aber gerne doch. [lacht]

Zurück