Sexismus im Heavy Metal

Aufgeklärt und tolerant, oder doch vom Maskulinismus durchdrungen?

von Elena Sperner

#KillTheKing

Spätestens seit #MeToo sollte es allen klar sein. Wir haben, die Welt hat ein Problem mit Sexismus. Zwischen den haarsträubenden Berichten von Frauen unterschiedlichster sozialer Schichten, Nationalitäten und Berufsbereichen häuften sich aber auch die Stimmen derer, die, ohne den Frauen dieser Welt auch nur ansatzweise zugehört zu haben, lauthals "Feminazi" und "Lügner" in die Kommentarfelder unterschiedlichster sozialer Medien hackten. Plötzlich waren alle Grauzonen abgeschafft, Du bist entweder dafür, oder dagegen. Entweder glaubst Du den Erzählungen, oder nicht. Oder, um es ganz hart auszudrücken, entweder, Du bist betroffen, oder halt nicht, und viele entscheiden sich dann stattdessen, die Täter zu schützen.

Alyssa White-Gluz (Arch Enemy)Nun gut, vielleicht geht das der Mainstream-Gesellschaft so, aber wir Metalheads müssen uns doch damit nicht beschäftigen. Wir haben doch ARCH ENEMY, die in der Kategorie "female fronted" gerade eine der angesagtesten Bands mit weltweiten Tourneen sind, wir mögen doch alle unsere Freundin, die wir mit zu sämtlichen Metalkonzerten schleppen können, wir haben friedliche Festivals mit viel Bier, aber ohne Vergewaltigungen. Oder? Oder erinnert sich noch jemand an das Bråvalla Festival in Norrköping in Schweden? Ja genau, eben jenes, welches dieses Jahr (2018) nicht mehr stattfindet, weil irgendwelche Idioten letztes Jahr ihre Penisse nicht für sich behalten konnten. Ein Einzelfall?

Wer bis hierher gelesen hat und dem es jetzt schon in den Fingern juckt, seine (oftmals) reichlich unreflektierte Meinung als Kommentar zu hinterlassen, dem sei Folgendes ans Herz gelegt: Hast Du Frauen in Deinem Freundes- und Bekanntenkreis? Hast Du die schonmal gefragt, wie sie in der Metalszene von fremden Metalheads wahrgenommen werden? Hast Du schonmal zugehört und hinter die Fassade einer Frau geguckt, die nur mit Schulterzucken und einem gezwungenen Lächeln einen Täter in Schutz nimmt und erklärt: "Naja, aber er war halt schon reichlich betrunken, er hat das ja nicht so gemeint..."

Für diejenigen, die ehrlich interessiert sind, habe ich hier ein paar Dinge zusammengefasst, wie es ist, ein nicht-männlicher Metalhead zu sein. Grundlegend gibt es wohl zwei Kategorien von Frauen im Metal, beide verfolgen unterschiedliche Strategien mit unterschiedlichem Erfolg. Die erste Variante ist der weibliche Metalfan, der versucht, sich anzupassen. Klamotten wie die überwiegende Anzahl der Männer, mit Bandshirts in oftmals Männergrößen (Weil es nicht immer Frauengrößen gibt - merkst was?), kein Make-up, im Auftreten so männlich und so wenig feminin wie möglich. Ihren Platz in der Community müssen sie sich hart erkämpfen. Niemand wird so gründlich auf sein Fan-Dasein geprüft wie diese Frauen. Sie müssen alles wissen, müssen true sein, jeder Fehltritt in den Augen ihrer Betrachter wird als Hinweis darauf gewertet, dass sie in Wirklichkeit doch nur ein Poser ist.

Ungefähr so ein Poser, wie die zweite Kategorie Frauen in der Metalszene. Diese sind sehr feminin, ihnen ist es egal, dass sie auffallen, sie tragen Make-up, betonte oder sogar freizügige Kleidung. Aufmerksamkeit bekommen sie, aber werden sie ernst genommen? Eher nicht, sie werden häufig als Groupie bezeichnet, die nur darauf aus sind, mit der Band in die Kiste zu springen, im besten Fall sind sie einfach Accessoire für einen Mann, der sie mitgeschleppt hat. (Exurs: Seit wann ist eigentlich die Auslebung der eigenen Sexualität mit einverstandenen Partnern ein Problem? Antwort: Schon immer, nur hat sich diese altbackene Sichtweise im Bezug auf Männer mittlerweile geändert. Wäre es nicht mal an der Zeit, dass wir Frauen das gleiche Recht zusprechen?). Agens, Selbstbestimmung und eine Leidenschaft für unser aller Lieblingsmusik wird diesen Frauen jedoch eher selten angedichtet. Fest steht, der Metal ist eine Subkultur von Männern. Wer als Frau Anschluss finden will, muss seine Weiblichkeit am Eingang abgeben, ansonsten dürfte es schwierig werden.

#MetalToo, property of Vice.com/Noisey

Mir selbst ist ähnliches widerfahren: Auf meinem zehnten Jahr in Wacken lief ich (relativ normal) mit Boots, kurzer Hose, Top und meiner Kutte über das Gelände. Selbstverständlich hatte ich diverse Band-Patches, sämtliche Wacken-Patches, inklusive des aktuellen, auf meine Kutte genäht (Letzteren von Hand, auf dem Zeltplatz!). Ich war also weder übertrieben knapp bekleidet, noch hatte ich übertriebenes Make-up im Gesicht, und trotzdem musste ich Kommentare vom Männern hören, die mich tatsächlich bezichtigten, meine Kutte über eBay gekauft zu haben, da "so eine bestimmt noch nicht so oft in Wacken war", und überhaupt war ich in deren Augen ein eindeutiger "Festival-Tourist".

Im Allgemeinen sollte es bis jetzt eigentlich jedem aufgefallen sein, dass Frauen in der Metal-Szene zu großen Teilen sexualisiert werden. Nicht? Wir haben in Magazinen und im Internet zahllose Listen und Rankings, die sich damit beschäftigen, welche aus der relativ begrenzten Anzahl an weiblichen Musikern im Metal die heißeste oder hübscheste ist. Ja, hier wird ganz oberflächlich das Aussehen bewertet, nicht etwa das musikalische Talent. Worum sollte es denn sonst gehen, wenn wir über Frauen im Metal reden? Nicht umsonst findet man Musik- und besonders Metalzeitschriften in der Regel in der "Männerabteilung" des Zeitschriftenregals, nicht selten neben Playboy etc. Und wenn ich schonmal dabei bin, dann können wir ja auch gleich noch über diesen elendigen Begriff "female fronted metal" sprechen. Was bitte ist das? Ja klar, es beschreibt eine Band mit einer Frau am (meistens) Mikrofon. Aber was sagt das über die Musikrichtung, die ein Genre beschreiben soll? Genau, eigentlich gar nichts. Oder was haben NIGHTWISH, ARCH ENEMY und HALESTORM gemeinsam, außer dass die Frontfigur keinen Penis hat? Wer erklärt seine Lieblingsband, die keine Frau in der Aufstellung hat, regelmäßig als "male fronted"? Genau, niemand. Als letztes möchte ich noch kurz auf einen interessanten Aspekt zu sprechen kommen, den Dave in einem Blog angesprochen hat. Er (selbst Musiker) beschreibt, wie das schlimmste, das ihm nach einem schlechten Gig oder auch einem schlechten Album passieren kann, ist, dass die Qualität seiner Musik schlecht bewertet wird. Ihm würde es nie passieren (anders als so gut wie jeder weiblichen Person im Metal), dass er als Schlampe oder sexuell freizügig (Was hat das mit Musik zu tun?) bezeichnet wird, dass ihm angedichtet wird, er sei ausschließlich Accessoire der Band, oder dass ihm gegenüber sogar Gewalt- und Vergewaltigungsandrohungen geäußert werden. Was bitte ist falsch bei Menschen, die meinen, solche Aktionen seien eine angemessene Reaktion auf ein durchaus zum Teil sehr subjektives Medium wie Musik? Auch wenn ein YouTube-Kommentar schnell geschrieben ist und man bequem hinter der Anonymität des Internets versteckt ist, ist das doch bitte kein Grund, nicht sein Gehirn zu benutzen, alle Menschlichkeit über Bord zu werfen und die eigene ekelhafte Persönlichkeit raushängen zu lassen!

Floor Jansen (Nightwish)Es ist also nicht verwunderlich, dass Frauen irgendwann die Schnauze voll haben und auf solche Missstände hinweisen. Genau dass taten die drei Frauen hinter der Bewegung #KillTheKing aus Stockholm. Nicht nur stellten sie Bands wie Deströyer 666 öffentlich an den Pranger, sie sammeln auch Erzählungen und Erfahrungsberichte von Frauen aus der Metal-Subkultur und machen sichtbar, was viele (Männer) offensichtlich lieber weiterhin unter den Mantel des Schweigens und unter den Teppich der Macho-Kultur gekehrt hätten. Hier ist es auch für mich an der Zeit, mein Blatt vom Mund zu nehmen und einmal deutlich zu sagen, mein "Nein" bedeutet genau das - Nein! Es bedeutet nicht, dass Du es trotzdem versuchen kannst oder dass Du versuchen sollst, mich zu ueberreden. Es heißt nein, ist das so schwierig? Dabei ist es egal, dass wir beide Alkohol getrunken hatten und schon lange befreundet sind. Ich hoffe wirklich, dass Deine Tochter so eine Erfahrung nicht machen muss.

Fakt ist, dass der Metal uns allen ein Zuhause gibt. Uns allen, die nicht reinpassen können oder wollen. Im Metal sind wir alle Brüder und Schwestern, und es spielt keine Rolle mehr, wer wo herkommt. Wir finden zueinander durch die Musik, und Metal ist Metal, egal ob Power oder Black. Wenn ich jetzt noch schreiben könnte, dass es keine Rolle spielt ob Mann oder Frau, dann wäre ich zufrieden. Leider kann ich das guten Gewissens nicht tun, weil Unterschiede hier noch immer gemacht werden. Gebt acht auf Eure Mit-Metaller, männlich wie weiblich, und wenn etwas nicht stimmt, macht den Mund auf. Das geht an jeden, dessen "Nein" nicht gehört wurde, und es gilt für diejenigen, die lieber beschämt zur Seite gucken, wenn der Kumpel verbal oder körperlich Grenzen überschreitet. Sexismus kann nicht nur von einer Seite der Münze betrachtet und bekämpft werden. Es reicht nicht, wenn nur von einer Seite aus protestiert wird. Wir alle müssen gemeinsam für unser Ziel kämpfen. Für eine Zuflucht, die ihre Türen für alle aufschlägt, die einfach gemeinsam gute Musik genießen wollen und Geschlecht oder für die sexuelle Präferenzen keine geringere Rolle spielen könnten.

Zurück

Einen Kommentar schreiben