Bericht: System Of A Down - Wake Up The Souls 2015 in Köln

Die wohl beste Art, an einen Völkermord zu erinnern

von Rüdiger Vinschen

Flyer: Wake The Souls Tour 2015

Bilder: System Of A Down, Tobias Wimbauer

Ein ganz besonderes und ganz besonders schreckliches Ereignis jährt sich 2015 zum 100. Mal: der allererste moderne Genozid, der Völkermord an den Armeniern, der in den Wirren des ersten Weltkriegs anno 1915 seinen Anfang nahm. Bis heute hat die Weltgemeinschaft es nicht fertig gebracht, mordende Despoten nachhaltig in die Schranken zu weisen; das 20. und 21. Jahrhundert haben eine traurige Geschichte, deren viele Millionen Tote kaum eine Stimme haben. Dazu tragen aktuell immer noch international respektierte "Männer von Welt" wie z.B. Recep Tayyip Schwanznase Erdogan bei, der die Erinnerung an das Massaker an den Armeniern aus den Geschichtsbüchern streichen will. SYSTEM OF A DOWN, noch nie eine unpolitische Band, haben ob ihrer armenischen Abstammung ein ganz eigenes Interesse, auf dieses unrühmliche Jubiläum aufmerksam zu machen. Und so haben sich John, Shavo, Daron und Serj aufgemacht, um in Europa und Russland sieben Konzerte unter dem Motto "Wake Up The Souls" abzuhalten. Damit erinnern sie auf ihre Weise an das Unrecht, das den Armeniern vor einhundert Jahren widerfahren ist und rufen die Menschen dazu auf, ihre Stimme gegen Genozide zu erheben. Das letzte Konzert in der armenischen Hauptstadt Jerewan wird unter freiem Himmel stattfinden und kostenlos sein.

System Of A Down

SYSTEM OF A DOWN-Fans in Europa dürften (wie auch meine bessere Hälfte und ich) ziemlich aus dem Häuschen gewesen sein, haben sich die weltberühmten Alternative Rocker doch in letzter Zeit ziemlich rar gemacht. Serj Tankian war zumeist mit seinem Soloprojekt unterwegs, das letzte Album "Hypnotize" ist schon wieder beinahe zehn Jahre alt. Dementsprechend schnell waren die Konzerte auch ausverkauft. Umso überraschender habe ich den Aushang am Ticketshop der LanXess Arena in Köln zur Kenntnis genommen, dass noch Tickets an der Abendkasse erhätlich sein sollten. Copyright Tobias WimbauerSpäter am Abend konnte man jedoch deutlich sehen, dass die große Halle wenn nicht komplett, dann doch zumindest fast ausverkauft war. Mit dem Auto aus Ostfriesland angereist, waren wir schon früh da, um zu unserer kleinen Horde aus Bekannten zu stoßen, die bereits vor Ort warteten. Das Wetter spielte fantastisch mit, ein Stündchen gechillt in der Sonne zu hocken war ein super Auftakt. Der Einlass ging zügig vonstatten, ein kurzer Abstecher zum Merch-Stand war der nächste Tagesordnungspunkt. Im Nachhinein betrachtet finde ich das Sortiment eigentlich ziemlich mager: einige Shirts, Kapus, ein Messenger Bag, nicht wirklich viel. CDs, Vinyl, Patches? Fehlanzeige. Günstigster Artikel waren die Shirts mit 35,-€ Stückpreis, vielen Dank, da haben wir uns erst gar nicht angestellt. Also ab in die Halle.

Copyright Tobias WimbauerUnd die LanXess Arena muss man mal gesehen haben. Also, klein ist anders. Als Mehrzweckhalle ausgelegt, ist sie der o2world in Hamburg vom Aufbau ziemlich ähnlich, aber um einiges größer. Die unteren und oberen Ränge sind durch zwei Etagen Separeés voneinander getrennt, ganz oben sitzt man schon ziemlich luftig. Wir machten uns im Innenraum direkt neben dem Technikpult breit, versprachen uns so einen guten Blick ohne viel Moshpit-Stress. Ein Blick auf die hünenhaften Traversen über der Bühne, die so einiges an Nutzlast aufnehmen können, offenbarte die mächtige Sound- und Lichtanlage, die hier am Werk war. Wir hatten auch genug Zeit, alles ganz in Ruhe zu beäugen, denn die Halle füllte sich nur gemächlich.

Mit leichter Verspätung gingen ca. gegen viertel nach acht die Lichter aus und es wurde laut, zunächst dank des aufbrandenden Jubels. Zunächst gab es per Beamer aber einen Einspieler zum Anlass "Wake The Souls" zu sehen, in dem Tom Morello als Sprecher den Grund der "Zusammenkunft" darlegte. Die dazu gezeigten animierten Zusammenschnitte verfehlten auch ihre Wirkung nicht; bedrückend ist das Wort, das ich für die Atmosphäre verwenden würde. Ich mag auch der Meinung einiger Kollegen von der lokalen Presse nicht beipflichten, die geschrieben haben, dass die Toten nur eine Randnotiz dieses hedonistischen Spektakels seien. Das disqualifiziert das Anliegen in unangemessener Weise und trifft, soweit ich das sagen kann, auch nicht zu. Der erste von drei Einspielern endete jedenfalls, und es kam, was kommen musste. Ohne Vorband, ohne langes Intro oder Ankündigungen, betraten die vier Recken die Bretter und rockten los, was das Zeug hielt. Der erste Teil des Sets war mörderisch und verlangte dem über aus sing- und moshfreudigen Publikum einiges ab. Im ersten Drittel hauten sie Kracher wie den "Prison Song", "B.Y.O.B.", "Hypnotize", "Needles" und "Deer Dance" am Fließband heraus. Es blieb kaum Zeit, zu Atem zu kommen, da auch zwischen den Songs kaum Ansagen gemacht wurden. SOAD schickten sich an, die Bude einfach abzureißen.

Copyright Tobias Wimbauer

Klar, viele Leute singen laut, aber ich fand es schon bemerkenswert, wie extrem laut, textfest und feierwütig die Meute an diesem Montag war. Klatschen, hüpfen, singen, das ging durch die ganze Halle, von vorne bis hinten. Nach 14 Songs (wenn man "Soldier Side" als Intro nicht mitrechnet) folgte der zweite "Wake Up The Souls"-Kurzfilm, der die dringend benötigte Atempause brachte. Das zweite Drittel wurde ein wenig seichter, an schnellen Brechern fanden sich dort nur noch "Chop Suey!", "Bounce" und "Psycho". Besonders ansprechen muss man "Lonely Day", einer der bekanntesten Songs, der nochmal demonstrierte, dass in vielen Taschen neben den Smartphones auch noch Feuerzeuge stecken. Nach dem dritten Video folgte der letzte Akt eines gelungenen Auftritts. Beim Thema Spannungsbogen müssen die Jungs aber nochmal nachsitzen, denn nun holten sie auch ein wenig verspieltere, unbekanntere Nummern raus. Man hatte ein wenig das Gefühl, die Luft ist so langsam raus, aber am Ende brachten SYSTEM OF A DOWN die Halle mit "Toxicity" noch einmal zum Kochen. Darons Forderung nach einem massiven Circlepit wurde gern erfüllt. Sogar von hinten aus waren die rotierenden Massen noch zu sehen. Das Video, das dazu auf Youtube zu finden ist, zeigt ein ganz amtliches Rund.

Leider war mit "Sugar" nach 36 Stücken Schluss, ohne Zugabe schickte Serj uns nach Hause. Da waren knapp über zwei Stunden Spielzeit ins Land gegangen. An Bühnenshow wurde nicht viel Extravaganz aufgefahren. Der Mega-Beamer hinter den Mischpulten warf verschiedene Bilder (Bandlogo, das Debüt-Cover und einige andere) quasi als Backdrop auf die Bühne, es gab die drei Kurzfilme und ansonsten "nur" eine ziemlich opulente Lichtorgel. Das waren schon einige Kilowatt, ich habe mir mal die Mühe gemacht, mitzuzählen. Das müssten so um die 48 Robolights, 26 große, mehrfarbige Strobos, zehn Vierer-Strahler, vier Achter-Strahler und sechs Vierziger-Strahlerbatterien gewesen sein, wenn ich mich nicht verzählt habe. Understatement ist anders. Schön anzusehen war, dass alle vier Bock hatten, zu spielen, und alle waren sie in Topform. Routiniert und professionell zockte die Band das Set runter, Verspieler habe ich gar nicht gehört, und wer Serj noch nicht live hat singen hören, hat definitiv einiges verpasst. Ein bisschen mager fiel die Publikumsinteraktion aus. Man wird jetzt wohl sagen, das ist normal bei SYSTEM OF A DOWN, und in die Suppe spucken wird man damit auch nicht. Letztlich sind das nur Nuancen, die einen tollen Abend nicht schmälern können.

Copyright Tobias Wimbauer

Vorbei an den obligatorischen Bootleg-Händlern mit "inoffiziellen" Postern für 2,-€ waren wir, so denke ich zumindest, recht zügig wieder im Parkhaus. Trotzdem stand die Autoschlange bis in unsere Etage hinein.Der heilige Saint Fuckface allein weiß, ob die Schranke kaputt war, sich einer vor ein Auto geschmissen hat oder was sonst schiefgegangen ist. Auf jeden Fall ist eine Dreiviertelstunde Stillstand im Parkhaus nicht witzig, wenn man anschließend noch 300 Kilometer vor sich hat. Hat aber auch geklappt, bis drei Uhr nachts schlummerten wir in unserem Bett.

Die wilde HordeSetlist:

  • Wake Up The Souls Part 1
  • Holy Mountains
  • Jet Pilot
  • Suite-Pee
  • Prison Song
  • U-Fig
  • Aerials
  • Soldier Side
  • B.Y.O.B.
  • I-E-A-I-A-I-O
  • Radio/Video
  • Bubbles
  • CUBErt
  • Hypnotize
  • Dreaming
  • Needles
  • Deer Dance
  • Wake Up The Souls Part 2
  • P.L.U.C.K.
  • Sartarabad
  • Psycho
  • Chop Suey!
  • Lonely Day
  • Question!
  • Bounce
  • Kill Rock'n'Roll
  • Marmalade
  • Lost In Hollywood
  • Spiders
  • Mr. Jack
  • Wake Up The Souls Part 3
  • Science
  • Chic'n'Stu
  • War?
  • DAM
  • Cigaro
  • Roulette
  • Toxicity
  • Sugar

Fazit

Riesig, laut, genial. Die Kölner Arena, ein Hexenkessel. SYSTEM OF A DOWN sind definitiv ein must-see. Die seltsame Mischung aus aggressiven und groovigen, tanzbaren Elementen sind nicht nur totaler Kult, sondern ein Garant für Bombenstimmung. Ich denke, drölfzigtausendundzwei Besucher gestern Abend dürften mir da uneingeschränkt beipflichten.

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